Dr. Christmas - Weihnachten ist überall...
...heute kommt Teil 3 der Weihnachts-FF von Melo & Diana.
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Teil 3
Den Rest des Tages war Mara ihm aus dem Weg gegangen. Wann immer er auf
sie zuging, verließ sie fluchtartig ihren Platz oder gab vor, sich mit
jemandem zu unterhalten.
"Offensichtlich hast du sie rumgekriegt und jetzt ist sie verwirrt", mutmaßte Tom in der Mittagspause. Sie saßen im verschneiten Innenhof auf der Bank hinter den Tannen und blickten auf den zugefrorenen Ziersee. Bell war zur Mittagspause mit den anderen Schwestern, in die in die Mensa gegangen und vermutlich giggelten, und tuschelten sie darüber, was sie ihren Freunden und Männern zu Weihnachten schenkten.
Bill zuckte die Schultern und nippte schlecht gelaunt an seinem Kaffee. Eigentlich sollte er glücklich sein, doch Maras Reaktion hatte ihn verunsichert und bereitete ihm Bauchschmerzen.
Als sein Bruder weiterhin schwieg, legte Tom ihm den Arm um die Schultern und lachte.
"Das wird schon, Billy. Mara ist eben ein besonderer Typ Frau, da musst du einfach Nachsicht haben. Nachher schnappen wir sie uns und fragen sie, ob sie nochmal Lust hätte, mit uns wegzugehen. Einverstanden?"
Abermals zuckte Bill die Schultern.
Tom lächelte mitleidig. Bill hatte es wirklich nicht leicht mit Mara.
"Wie wäre es, wenn wir nachher nochmal zu Jimmy gehen? Du musst ihm eh Blut abnehmen und ich könnte ihm danach ein paar Akkorde zeigen. Ich glaube, der Kleine mag dich. Und ich bin sicher, wenn Mara sieht, wie du dich um ihn kümmerst, dann wird sie sich wieder einkriegen."
"Kann schon sein", brummte Bill, drückte seine Zigarette im Schnee aus und warf sie in den Mülleimer. "Aber jetzt sollten wir weitermachen."
Schweigend liefen sie ins Foyer zurück und fuhren mit dem muffig riechenden, verspiegelten Fahrstuhl in die Kinderstation. Als sie durch die verglasten Türen traten, nahm sich Bill wieder zusammen. Seine Laune hatte man in keinem Fall an den Patienten auszulassen.
"Ich werde mal nach Emily und George sehen", sagte Bill und zwang sich zu einem Lächeln.
"Ja, ich komme gleich nach", antwortete Tom. Er hatte den Satz kaum beendet, da tänzelte er auch schon auf Bell zu.
Neidisch wandte Bill sich ab und lief ins Patientenzimmer 2b.
Als er die Tür öffnete und eintrat, glaubte er seinen Augen kaum. Neben George saß ein blonder, junger Mann mit schwarzer Brille und runden Bäckchen - sein Freund Gustav.
Er war Psychologiestudent und war zuletzt in England zu einem Auslandssemester gewesen. Nach Bills letztem Stand hatte er eigentlich ein weiteres Semester dranhängen und erst im Februar zurückkommen wollen.
"Gustav?", fragte Bill freudig und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. "Was machst du denn hier?"
Gustav sprang von seinem Stuhl auf.
"Hey, Bill!"
Fest umarmten die beiden jungen Männer sich, ehe Bill und George sich ebenfalls begrüßten.
Breit grinsend beugte Bill sich zu Emily runter und knuffte sie in die Seite, woraufhin sie freudig lachte.
"Na junge Frau? Was machen denn deine Arme?"
"Besser!", lachte sie weiterhin und streckte ihm ihre Arme entgegen. Prüfend sah der Student die Verbrennungen an. Es sah wirklich schon wesentlich besser aus. Die Verletzungen waren nicht mehr so stark gerötet, aber dennoch noch immer im Auge zu behalten. Wahrscheinlich würden auch zumindest leichte Narben zurückbleiben.
Bill setzte sich auf die Bettkante und streichelte durch die Bettkante hindurch, die kleinen, zierlichen Beine des Mädchens, als er wieder zu George und dann zu Gustav sah.
"Jetzt erzähl? Wieso bist du denn schon wieder hier? Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, aber du wolltest doch eigentlich noch ein paar Monate bleiben, oder?"
Gustav nickte und gähnte kurz. Er schien müde und erschöpft zu sein.
"Ja, eigentlich schon. Aber ich habe ein Angebot für eine Doktorarbeit bekommen, deswegen bin ich vorzeitig zurückgekommen", erklärte er und sah dann lächelnd zu Emily, die ihren Teddybären fest an sich drückte und ihm irgendetwas erzählte.
Bill lüpfte erstaunt die Augenbrauen und zeigte als positive Reaktion einen Daumen nach oben.
"Und welcher Themenbereich?", hakte er dann nach.
"Familiäre Kommunikation bei Krebserkrankungen."
Augenblicklich dachte Bill an Jimmy und an die Tatsache, dass er keine Familie hatte. Er erzählte dem Studenten von Jimmy und Gustav war sofort interessiert an ihm, bat Bill, ihm den Jungen später vorzustellen.
"Aber mal was anderes", unterbrach George sie. "Da Emily heute Nacht wohl noch hier bleiben muss und mir zuhause die Decke auf den Kopf fällt, könnten wir doch zusammen etwas unternehmen." Er reichte Bill einen Flyer, auf dem das Rockefeller Center zu einer Weihnachtsparty einlud.
"Der Eintritt ist okay und es gibt eine Menge kleinerer Attraktionen", grinsend wandte er sich zu Gustav, "und später am Abend einen Strip von Mrs. Clause."
"Ich bin dabei", rief Gustav begeistert und sah Bill fragend an.
"Klar, wieso nicht. Tom und Bell wollten ohnehin ausgehen und ich würde auch jemand fragen."
Gustav schob die Brauen zusammen:
"Immer noch das Mädchen aus der Uni?"
George lachte und beantwortete die Frage für Bill.
"Ja und sie arbeitet auch hier, was der Grund ist, warum Bill nicht zuhause auf dem Sofa hängt und seine Ferien genießt."
"Verstehe", sagte Gustav. Er legte Bill die Hand auf die Schulter. "Vielleicht kann ich dir ja den einen oder anderen psychologischen Frauentrick geben."
Bill rollte lachend die Augen und schüttelte den Kopf.
"Nett gemeint, aber wenn, dann möchte ich sie gerne auf meine Art und Weise erobern!", zwinkerte er und erhob sich wieder von dem Bett. "So Leute, ich muss weiter arbeiten. Jungs? Wir sehen uns nachher sicher. Ich frage erst mal Tom und Bell was sie von Georges Vorschlag halten und Mara ziehe ich mir dann auch mal zur Seite, um sie zu fragen. Ich melde mich auf jeden Fall vor Feierabend noch mal, ja?"
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Bill den Raum und sah sich auf dem Flur suchend um. Er wusste gerade gar nicht so recht, was er machen sollte. Nur das Blutziehen bei Jimmy . Aber so recht wusste er nicht, ob er sich das schon alleine traute. Vielleicht sollte er sich da Mara noch mal zur Hilfe hinzuziehen? Das konnte er ja als Vorwand nutzen und schließlich auch gleich fragen, ob sie heute Abend nicht vielleicht mitkommen wollte.
"Hey Bill, alles klar?"
Angesprochener drehte sich um und erblickte Bell, die lächelnd vor ihm stand. Perfekt.
"Ja, alles klar. Sag mal, Tom meinte vorhin zu mir, dass wir heute Abend ja noch mal ausgehen könnten. George und Gustav - der ist schon vorzeitig wieder hier - fragten, ob wir mit ins Rockefeller Center gehen wollen. Da soll heute eine Party sein. Kannst ja Tom mal fragen."
Dass Bell ihm antwortete, hörte er gar nicht mehr, denn da war sein Blick schon auf Mara gefallen, die am Schwesterntresen ihre Akten abgab. Eilige lief er an Bell vorbei und rief so laut nach Mara, dass sie keine Chance mehr hatte, ihm durch die Lappen zu gehen.
Augenblicklich verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck.
"Was ist? Ich habe zu tun."
Ihre Feindseligkeit schmerzte ihn, doch inzwischen war er sich sicher, dass Tom recht hatte. Offensichtlich war Mara mit ihren Gefühlen überfordert.
"Ich will bei Jimmy die Blutentnahme machen. Würdest du mich noch einmal anleiten?"
"Du hast das gestern sehr gut gemacht. Ich sehe keinen Grund dir zu helfen", antworte sie kühl und wollte sich zum Gehen abwenden, doch er packte sie am Arm und zog sie wieder zu sich.
"Bitte", sagte er eindringlich.
Ihr Gespräch hatte inzwischen am Tresen Aufmerksamkeit erregt. Einige der Schwestern sahen die beiden neugierig an und tuschelten, sodass Mara widerwillig nickte und ihm zu Jimmys Zimmer folgte.
"Das hättest du auch machen können, ohne Aufsehen zu erregen!", knurrte sie ihm leise zu, als sie die Tür öffnete.
"Das kann ich nur zurückgeben!", zuckte Bill mit den Schultern. Er wollte sich nicht die Laune verderben lassen und schon gar nicht, wollte er sich herablassend behandeln lassen und dann womöglich noch auf Knien kriechen. Er liebte Mara, keine Frage. Aber er wollte ihr auch zeigen, dass er sich von ihrer plötzlichen Boshaftigkeit nicht unterkriegen oder gar deprimieren ließ.
Es kam nur ein Seufzen als Antwort, ehe Mara schon in den Schränkchen kramte und alles hervorholte, was sie brauchten.
"Hallo Jimmy! Wir kommen wieder Blutabnehmen, ja? Ist es okay, wenn Bill das wieder tut?"
Freudestrahlend nickte der Kleine. Lachend wuschelte Bill ihm durch die Haare, als er an seinem Bett zum Stehen kam.
"Wie geht es dir denn heute?", hakte er nach. Langsam ließ er sich in die Hocke gleiten, um nicht so von oben herab mit dem Jungen sprechen zu müssen.
"Mein Kopf tut etwas weh aber die Schwestern haben mir schon etwas gegeben", erklärte er, drehte sich zu seinem Nachtschrank und griff nach dem Buch, aus dem Mara ihm gestern vorgelesen hatte. Interessiert blickte Bill auf den Titel. "Weihnachten ist überall"
"Das hat Mara mir geschenkt", sagte Jimmy auf Bills fragenden Blick. "Da steht, wo überall Weihnachten gefeiert wird und wie. Ich freue mich schon auf Weihnachten, da gibt es nämlich einen Baum und Geschenke und man muss immer artig sein, damit der Weihnachtsmann auch kommt."
Bill sah aus den Augenwinkeln, wie Mara zusammenzucke und ihr ein halblautes Seufzen entfuhr.
"Mein Bruder will dir nachher ein paar Akkorde auf deiner Gitarre zeigen", sagte Bill eilig, um vom Thema abzulenken. "Wie findest du das?"
Jimmys blaue Augen leuchteten glücklich. Aufgeregt nickte er, legte das Buch beiseite und fiel Bill um den Hals.
"Danke, danke, danke!"
Lachend erwiderte Bill die Umarmung und strich ihm über den Kopf. Wie einsam musste sein Leben sein, wenn die einzigen Bezugspersonen Ärzte, Studenten und Schwestern waren, die ihm ein paar Stunden am Tag beistanden?
"Kein Problem, Jimmy", flüsterte er mitfühlend, ließ ihn los und nahm sich wieder zusammen. Er schlüpfte in ein paar Handschuhe, schob Jimmys Ärmel hoch und desinfizierte seine Armbeuge.
"Brrr", machte Jimmy kichernd, als das kalte Desinfektionsspray seine Haut benetzte.
"Entschuldige", grinste Bill, wischte über das dünne Ärmchen und bewaffnete sich mit der Butterflykanüle. "Und jetzt ganz tief einatmen." Als der Junge Luft hatte, stach er zu und schob die Kanüle sanft in die Vene, ganz so, wie Mara es ihm gezeigt hatte. In einem Anflug von Stolz drehte er sich zu ihr um und lächelte.
"Gut", sagte sie und sah eilig weg.
"Hat wieder nicht wehgetan", lobte Jimmy und nickte.
Vorsichtig befestigte Bill das erste Serumröhrchen und räusperte sich:
"Äh, Mara? Zwei Freunde von mir, der Vater des Mädchens aus 2b und ein Kumpel, der aus England zurückgekommen ist, wollen heute Abend mit Tom, Bell und mir ins Rockefeller Center gehen. Da ist eine Weihnachtsparty, und da Weihnachten so magst, dachte ich . also ich dachte, wir könnten zusammen hingehen."
Es dauerte keine zwei Sekunden, da schüttelte die Brünette, die neben ihm stand und seine Arbeit beobachtete, den Kopf.
"Nein danke. Ich gehe heute schon mit Steve, dem Assistenzarzt der Station, dort hin", antwortete sie und nahm das Serumröhrchen entgegen, um es in die kleine Nierenschale zu legen. Bill steckte das zweite Röhrchen an und schluckte schwer.
"Kennst du ihn? Ist er ein Freund? Er könnte ja eventuell . auch mit kommen."
Abermals schüttelte Mara den Kopf.
"Ich kenne ihn noch nicht so, aber er hat vorhin gefragt ob wir heute dorthin ausgehen. Wir hoffen also, einander besser kennenzulernen! Und nein . Ich denke es wäre unangebracht das erste Date mit ein paar weiteren Leuten, Kollegen, zu verbringen."
Weitere Leute . Kollegen . Das war er also noch immer für sie. Und die anderen auch - trotz des gestrigen, schönen Abends. Er hatte gehofft er und die anderen jetzt wenigstens so eine Art Freunde für sie wären. Und dann nannte sie das mit dem Assistenzarzt auch noch Date .
Bill spürte, wie sein Herz immer schmerzlicher klopfte. Es tat weh, das so zu hören. Wollte sie ihm jetzt absichtlich wehtun? War das vorhin wirklich so falsch gewesen, in ihren Augen, obwohl sie es ja selbst getan hatte? Ihre Lippen hatten sich so herrlich auf den seinen angefühlt. Und jetzt war sie scheinbar sauer, war kalt zu ihm und wollte mit einem anderen Mann ausgehen .
"Hallo, Bihill! Hörst du mal? Das Röhrchen ist voll, du kannst die Kanüle ziehen!", ermahnte Mara ihn, bis er zusammenzuckte und aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Rasch entfernte er das Serumröhrchen, reichte es wieder seiner Angebeteten, und zog dann auch die Kanüle. Fest, aber darauf bedacht es nicht zu fest zu tun, drückte er einen Tupfer auf die Einstichstelle und langte nach einem Pflaster, welches er dann sachte auf die geschundene, zerstochene Haut klebte. Der Junge war wirklich zu bemitleiden - und er jammerte innerlich die Ohren von Bell und Tom voll, weil er diese junge Frau einfach nicht erobert bekam.
Mara nahm ihm das zweite Röhrchen ab, stecke es in eine durchsichtige Labortüte und beklebte die Außenseite mit einem von Jimmys Patientensticker.
"Ich bringe das ins Labor", sagte sie und verschwand so schnell aus dem Zimmer, dass Bill keine Möglichkeit blieb, noch etwas zu erwidern.
"Hast du Streit mit Mara, Dr. Bill?", fragte Jimmy und sah ihn mit seinen großen unschuldigen Augen an.
Instinktiv schüttelte Bill den Kopf und lächelte:
"Nein, Mara hat nur etwas schlechte Laune." Auch, wenn es gelogen war - ein krankes Kind musste man nicht mit dem Leid der anderen belegen.
"Und warum will sie nicht mit dir dahingehen?", fragte er weiter und fischte nach seinem Buch.
"Das würde ich auch gern wissen", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Jimmy.
Wie versprochen, zeigte Tom Jimmy nach Feierabend noch ein paar Akkorde, während sich George von seiner Tochter verabschiedete und Gustav Jimmys Verhalten analysierte.
Bell hatte für eine ihrer Freundinnen eine zusätzliche Schicht übernommen und würde sie nicht begleiten.
Bill zuckte die Schultern, als er, mit dem Rücken an den Schwesterntresen gelehnt, mit Bell sprach und auf Tom und die anderen wartete.
"Dann wird das wohl ein Männerabend", sagte er und kniff die Augen zusammen, als Mara mit dem Assistenzarzt um die Ecke bog.
"Nicht zu fassen, dass sie so eine Show abzieht", brummte Bell aus Solidarität und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Erst mit dir rummachen und dann mit diesem Idioten ausgehen. Die ganze Station weiß, dass er nur darauf aus, kleine Studentinnen um den Finger zu wickeln und ihnen zu zeigen, wie großartig er ist. Von den Schwestern habe ich jedenfalls gehört, dass sein Mund wesentlich größer ist, als der Rest, wenn du verstehst, was ich meine."
Bell zwinkerte ihm verschwörerisch zu und Bill musste unwillkürlich grinsen. Aber zugegebener Maßen sah Steve nicht schlecht aus. Er war groß, schlank und dunkelhaarig und hatte ein symmetrisches Gesicht. Eine dunkle Brille umrahmte seine kleinen, arroganten Augen und der Dreitagebart ließ ihn ein Stück weit verwegen und geheimnisvoll aussehen.
Demonstrativ sah Bill zu Mara, als sie mit Steve an ihm vorbeilief, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Bill machte ein abfälliges Geräusch und wartete, bis die beiden die Station verlassen hatten, ehe er mit Bell über den Assistenzarzt herzog.
Als Tom, Gustav und Georg einige Minuten später mit Bill das Krankenhaus verließen, hatte es wieder begonnen zu schneien. Sanft und lautlos rieselte der Schnee auf den Bus, der sie zum Rockefeller Center brachte. Die meisten New Yorker Fenster waren inzwischen in herrlichen bunten Farben geschmückt und hier und da schmunzelte Bill über Leute, die umständlich einen Weihnachtsbaum durch ihre Türen hievten. So viel Aufwand, soviel Stromkosten und so viel unnütze Sentimentalität für ein Fest, das die Geburt eines Mannes ehren sollte, an den die meisten hier schon nicht mehr glaubten.
Er dachte an Jimmy und die Begeisterung in seiner Stimme, als er von Weihnachten gesprochen hatte, von dem Baum und den Geschenken und den Menschen, mit denen man sich umgab. Für diesen Jungen war Weihnachten kein christliches Fest, sondern nur ein Chance, für einen Moment die Einsamkeit zu vergessen, die sich so unbarmherzig in sein Leben geschlichen hatte.
Er lächelte traurig, verwundert darüber, dass er sich so viele Gedanken um einen Jungen machte, den er kaum mehr als zwei Tage kannte. Wo war die Mauer, wenn man sie brauchte?
"Bill, wir müssen aussteigen!", rief Tom ihm zu, der schon in der Bustür stand und eilig winkte.
Aus seinen Gedanken gerissen, sprang Bill auf und hechtete aus dem Bus in die Menschenmengen, die sich am Rockefeller Center versammelt hatten. Die Eisbahn und die winzigen Stände waren noch voller als sonst und auch die Einkaufspassagen wirkten überfüllt. Hoffentlich, dachte Bill, wollte sie nicht alle zu der Party.
Sofort schlug ihm die Kälte entgegen, als der Bus hinter ihm, sich wieder in Bewegung setzte. Es war wirklich eisig und trotz der vielen Gebäude hier in Manhattan, wehte ein frischer Wind.
"Sag mal, was ist denn los? Nimmt das von Mara wirklich so sehr deine Gedanken ein?", fragte Tom besorgt nach. Abermals war er wieder in Gedanken abgedriftet, die ihn sein ganzes Umfeld ausblenden ließ. Entschuldigend lächelte er seinen Bruder und auch George und Gustav an, die ihn mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie Tom, bedachten.
"Nein passt schon, nur . Weißt du, wieso Mara heute so aufgelöst war?"
Tom schüttelte den Kopf. Er hatte Bill nicht darauf angesprochen, war die ganze Zeit recht beschäftigt gewesen und wollte nicht zwischen Tür und Angel die Probleme anderer besprechen.
Bill nickte in Richtung des Rockefeller Centers. Sein Bruder und seine Freunde setzten sich mit ihm in Bewegung und lauschten aufmerksam seinen Worten, als er begann zu erzählen.
"Das Krankenhaus hat kein Geld für ein Weihnachtsfest für die Kinder, deswegen war sie so aufgelöst und irgendwie kann ich das auch verstehen. So viele Kinder sind im Krankenhaus, die zu Weihnachten nicht zu Hause sein können. Von manchen wird es sogar das letzte Weihnachten sein. Und dann sollen sie kein Weihnachtsfest haben? Das ist nicht fair. Ich habe Mara versprochen, dass wir das schon irgendwie hinkriegen und das meine ich auch so - nicht nur wegen Mara, sondern auch für die Kinder. Wir brauchen ein Weihnachtsfest, wenigstens ein Kleines! Ein bisschen mehr Deko, kleine Geschenke . Wir könnten den Besprechungssaal nehmen, damit wir alle etwas beisammen sein könnten. Für ein paar Kekse, Tee und Kakao werden wir ja wohl das Geld irgendwie zusammen kriegen und eben kleine Geschenke. Kuscheltiere, Spielzeug, irgendwie so was. Was meint ihr denn dazu? Wenn wir das alle anpacken, dann geht das . Dann können wir den Kleinen doch wenigstens ein kleines Weihnachtsfest bereiten, oder?"
Vor dem Rockefeller Center blieb Bill stehen und wandte sich Tom und den beiden anderen zu. Erwartungsvoll sah er sie an und war wirklich erleichtert, als alle Drei nickten.
"Denke schon, dass wir das hinkriegen. Wir könnten ja in ein paar Spielzeugläden herumgehen, und um Spenden bitten? Also nicht jetzt, aber ...", begann Tom, wurde aber sogleich von Georg unterbrochen.
"Ich mache das! Wie gesagt, mir fällt zuhause eh die Decke auf den Kopf. Ich kann morgen ein paar Läden abklappern, bevor ich zu meiner kleinen Maus ins Krankenhaus gehe. Da könnte ich euch dann auch gleich Bescheid geben, ob ich Erfolg hatte!"
Sofort begann Bill zu strahlen.
"Du bist . klasse! Und Tee, Kakao und Plätzchen kriegen wir auch so zusammen. Was brauchen wir denn sonst noch?"
"Ihr habt doch ab übermorgen die Abendschichten", sagte Gustav und grinste voller Tatendrang, "Da könnten wir uns bei euch treffen und Plätzchen machen."
Tom schüttelte den Kopf:
"Unsere Küche ist zu klein, da werden wir uns nur unnötig auf die Füße treten."
"Dann machen wir es bei Bell", schlug Bill vor, doch abermals schüttelte Tom den Kopf.
"Ihre Mitbewohnerin hat ihre Eltern da, das wird also auch nichts."
"Im Notfall haben wir noch meine Küche", lachte Georg und deutete auf die Schlange vor einem der Einkaufszentren, die zum Rockefeller Center gehörten. In bunten Farben leuchtete eine Reklame mit der Aufschrift 'X-Maß Party' über dem Eingang.
Als sie sich anstellten und der Schnee sich kalt auf Bills Wangen legte, entdeckte er Mara und Steve ein Stück weiter vor. Der Assistenzarzt hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und grinste sie blöd an. Wenigstens sah Mara nicht besonders interessiert aus.
Tom legte Bill zum Trost die Hand auf die Schulter.
"Lass gut sein, Bill ..." Er lächelte ihm aufmunternd zu, "Heute Abend werden wir unseren Spaß haben, ja?"
Bill nickte mit einem schiefen Lächeln und zwang sich, den Blick von Mara abzuwenden. Es dauerte nicht lange, ehe sie ins Innere gelangten. Gustav lud sie auf seine Rückkehr spendablerweise ein, und nachdem sie ihre Jacken abgegeben und sich mit Glühwein bewaffnet hatten, liefen sie durch die große, weihnachtlich geschmückte Eingangshalle des Centers. Überall standen reich geschmückte Bäume, Girlanden, mannshohe Zuckerstangen, riesige Glocken und knapp bekleidete Elfen und Elflinnen.
Bill grinste Tom zu: Das war definitiv ein Party für Erwachsene. Die Geschäfte hatten allesamt offen. Stände mit Bier, gebrannten Mandeln und Glückwein waren aufgebaut worden und durch die gewaltigen Deckenlautsprecher drang beat-lastige Musik. Man hatte eine Bühne aufgebaut, auf der später eine Show stattfinden würde - nicht zuletzt der Strip- und Lapdance, auf den sich Georg als Alleinerziehender besonders freute - und davor war mit schmalen Holzbrettern eine große Tanzfläche markiert, auf der sich bereits einige hübsche Mädchen tummelten.
"Jungs, ich sag euch, das war eine gute Idee", schwärmte Georg und nahm einen gehörigen Schluck aus seinem dampfenden Becher.
"Und ich muss brav sein!", schmollte Tom und heimste sich ein Lachen seitens der beiden G's ein.
"Gucken ist doch immer erlaubt, nur die Fingerchen sollten lieber bei dir bleiben!"
Gehässig grinste Gustav den jüngeren Studenten an. Ja, er war ja auch Single, er hatte also wie George freie Bahn und konnte daher große Töne spucken.
"Pff, macht ihr nur. So eine heiße Schnitte wie meine Anna-Bell bekommt ihr eh nicht ab. Von so einer könnt ihr nämlich nur träumen!"
Frech streckte Tom den beiden die Zunge raus, ehe er sich seinem Bruder zu wandte, der wie gebannt in eine Richtung starrte.
Bill hatte wieder Mara und Steve entdeckt.
"Der leckt die ab, als sei sie die Weihnachtshure höchstpersönlich!", knurrte Bill trocken. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte er diesen Kerl windelweich geprügelt. Niemand sollte Mara küssen, außer er selbst. Und vor allem sollte niemand sie so ablecken, wie der Arsch es tat. Sie musste zärtlich, einfühlsam und leidenschaftlich geküsst werden . Zumindest nahm er es an, denn die brünette Schönheit machte nicht den Eindruck, als wäre sie sonderlich angetan von seinem Geschlabber und den Eindruck eine zu sein, die einfach wild herumknutschte, machte sie auch nicht.
Bill erschauderte und wandte sich von diesem Anblick ab. Er konnte und wollte sich das nicht mehr ansehen, es tat viel zu sehr weh. Wenn Mara meinte, seine Anwesenheit auszuschlagen und stattdessen mit diesem dummen Möchtegern - Gigolo ausgehen zu müssen, dann sollte sie das halt tun. Er war weder ihr Aufpasser, noch ihr Freund, auch wenn er beides gern wäre.
Hastig nahm Bill einen großen Schluck seines Glühweins und sah aufmerksam zu den G's, die wild diskutieren, wohin sie jetzt als Erstes gehen würden, oder was sie nun überhaupt machen sollten. Währenddessen wurde er von seinem Bruder gemustert, aber Bill ignorierte es. Tom kannte ihn viel zu gut. Das war überwiegend vorteilhaft, manchmal konnte es aber auch nervig und lästig werden. Wie jetzt - aber er wollte nicht über die Sache mit Mara diskutieren oder gar bemitleidet werden, sondern er wollte wirklich den Abend genießen.
"Schaut mal, die Show auf der Bühne geht los. Lasst uns mal da hingehen, da kann man sich auch hinsetzen. Wäre doch ein guter Start beisammenzusitzen, sich erst mal vom Tag zu erholen, Glühwein zu trinken und die Show anzuschauen!
Auch wenn sich Bill sich reichlich Mühe gab, verfolgte er die Show nur nebenbei. Immer wieder glitt sein Blick zu Mara, und wenngleich die all seine Avancen erwiderte, hatte Bill dennoch den Eindruck als würde sie nichts davon ernst meinen. In ihren Augen lag nicht die Zärtlichkeit, der er noch heute Morgen darin gelesen hatte.
Plötzlich stieß ihn jemand von hinten an. Sein Glühwein schwappte im Bogen über den Rand der Tasse und landete mit einem platschenden Laut zur einen Hälfte auf seinen Stiefeln und zur andern auf dem hellen marmorierten Boden des Einkaufszentrums.
Verärgert drehte er sich um, doch sein Blick hellte sich augenblicklich auf, als er in das rosige Gesicht einer jungen Blondine in seinem Alter sah. In ihren großen dunkelblauen Augen lag ein entschuldigender Ausdruck und so konnte er gar nicht anders als lächeln.
"Oh Mist, entschuldige bitte", rief sie und fischte eine Taschentuchpackung aus ihrer Jacke.
"Es tut ihr so leid. Ich bin wirklich so ungeschickt."
"Schon okay", sagte er, nahm sich ein Tuch und wischte über seine Stiefel. "Ist ja nichts passiert."
Das Mädchen lief um die Bank auf welcher Bill und die anderen saßen, herum und zückte ihr Portemonnaie:
"Ich werde dir den Glühwein bezahlen. Echt, ich bin so ungeschickt."
Das Mädchen war ausgesprochen hübsch, zwar tollpatschig aber irgendwie sympathisch. Mit einem letzten Seitenblick auf Mara seufzte Bill und ergriff seine Chance. Was Mara konnte, konnte er schon lange.
"Wie wäre es, wenn ich dir einen Glühwein ausgebe?", fragte er und setze das charmante Lächeln auf, dass er sich bei seinem Bruder abgeguckt hatte. Von der Seite erntete er einen beeindruckten Seitenblick von Tom.
"Ich heiße übrigens Bill."
"Ich bin Melany", sagte sie und grinste. "Und ich würde gerne einen Glühwein mit dir trinken, Bill, aber dann müssen wir uns beeilen, ich habe nämlich in zwanzig Minuten hier meinen Auftritt."
Bill stand auf und lächelte interessiert.
"Mit was trittst du denn auf?"
Melany grinste etwas unverschämt.
"Das wirst du dann schon sehen. Ich verrate nur so viel: Ich tanze und der Song heißt 'Sexy, sexy Santa'."
In Bills Ohren klingelte das unverkennbare Geräusch eines Jackpots in Las Vegas. Er hatte eine Tänzerin erwischt - Volltreffer! Gustav und Georg sahen ihn neidisch an, während Tom nickte, wie ein stolzer Vater dessen Sohn seinen ersten Nagel in die Wand geschlagen hatte.
"Also, wollen wir?", fragte Bill und bot ihr den Vortritt. Ohne sich umdrehen zu müssen, wusste Bill, dass die Jungs hinter seine Rücken schweinische Grimassen zogen.
Die Jungs wussten aber auch, dass sie bei ihm nicht viel erwarten brauchten. Bill war kein Mensch, der eben mal eine Nummer schob und die Mädchen dann wieder abservierte. Er hatte zwar auch schon kurze Techtelmechtel gehabt, aber er stand auf Niveau und zwischen Tür und Angel hier . Nein.
"Wie lange ist denn nachher dein Auftritt?", fragte er nach, als sie an einer der Buden anstanden und darauf warteten, dass sie dran kamen.
"Naja, ich hab den Auftritt und dann noch zwei weitere mit anderen. So etwa 30 bis 40 Minuten mit Umziehen und nachschminken - wieso?!", schmunzelte sie ihn keck an und schien genau zu wissen, worauf er hinaus wollte.
"Na ja, ich dachte wir könnten nach deinem Auftritt ja vielleicht noch ein bisschen quatschen oder tanzen, wenn du Lust hast? Ich finde dich wirklich nett und . süß!"
Bill war es peinlich, aber es legte sich tatsächlich ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen. Gott, er war so aus der Übung, abgesehen von seinen Bemühungen bei Mara. Aber bei ihr . war das irgendwie etwas anderes. Er kannte sie kaum und dennoch kam es ihm vor, als sei es genau das Gegenteil.
"Aber gern doch. Hey, schau wir sind dran!"
Der Budenverkäufer sah die beiden erwartungsvoll an. Bill bestellte schnell zwei Becher Glühwein - einen Großen für sich und auf den Wunsch seiner Begleitung hin, für sie einen Kleinen. Aber er brauchte gerade einfach ein bisschen mehr. Er war irgendwie . durcheinander. Der Tag war weder so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte, noch so wie er es erwartet hatte. Maras Kuss, dann ihre Abweisende, teils herablassende Art und jetzt . ging sie mit diesem Möchtegernarzt aus und er selbst flirtete tatsächlich mit einem anderen Mädchen, obwohl sein Herz noch immer nach Mara verlangte.
"Na dann lass uns mal zurück zu den anderen gehen. Die muss ich dir sowieso noch vorstellen!"
Gustav und Georg stellten Melany, die inzwischen darauf bestand, Mel genannt zu werden, unzählige Fragen, so, dass die zwanzig Minuten im Handumdrehen verflogen waren. Auch wenn sie um ihren Auftritt ein kleines Geheimnis gemacht hatte, wurden Bill und die anderen nicht enttäuscht.
Ein attraktiver muskulöser Mann, der als Santa verkleidet war, trat auf die Bühne und heizte die Stimmung bei den Frauen an, als er sich seines unechten Bartes und seiner roten Weihnachtsjacke entledigte. Die Muskeln, die darunter zum Vorschein kamen, ließen jeden Mann hier im Center dagegen blass aussehen. Dann endlich kamen fünf bildhübsche, in knappen Miniweihnachtskleidern bekleidete, Tänzerinnen auf die Bühne und betanzten ihren "sexy, sexy Santa".
Nach und nach ließen die Mädchen ihre Hüllen fallen, bis sie nur noch in einer Art Weihnachtsbikini auf der Bühne standen und den Männern das Atmen schwer machen.
Bill hatte seinen Blick auf Mel gerichtet, die ihren kurvigen Körper so gekonnt und natürlich zur Musik bewegte, als hätte sie nie etwas anderes getan. Als ihn das unangenehme Gefühl beschlich, beobachtet zu werden, entdeckte er Mara, die ins Steves Armen ein paar Meter neben ihm stand. Als seine Augen die ihren trafen, sah sie eilig zu Boden. Von da an schluckte Bill jeden neuerlichen Drang, zu ihr herüber zu sehen, tapfer hinunter und fixierte stattdessen Mel, die ihm am Schluss ihrer Show verwegen zuzwinkerte.
Sie stieß später dazu, als sich Bill, Tom, Gustav und George bereits auf der Tanzfläche verausgabten. Der Glühwein war ihnen bereits zu Kopf gestiegen und hatte ihre Füße federleicht und ihre Hemmungen überwindbar gemacht.
"Na dann zeig der Tänzerin mal, wie man tanzt, Billy!", rief George über die Musik hinweg.
Mel hatte ihn gehört, lächelte Bill an und sagte:
"Privat tanze ich auch nur, wie jeder andere."
Bill nahm seinen Mut zusammen, was angesichts seines Alkoholpegels kein besonderes Problem darstellte, und grinste.
"Das ist aber schade."
Mel nahm das als Aufforderung an, zog die linke Augenbraue hoch und drehte sich um. Rückwärts tanzend war sie plötzlich so dicht an ihm, dass er den Stoff ihres kurzen Rockes an seinen Lenden spürte. Sie griff nach seinen Armen, postierte seine Hände auf ihrer Hüfte und tanzte so eng mit ihm, dass kaum mehr ein Blatt Papier zwischen ihre Hüften gepasst hätte.
"Ist das besser?", fragte sie und grinste.
"Viel besser", hauchte Bill in ihr Ohr. In seinem Kopf schwirrte der Alkohol, paarte sich mit der lauten Musik und dem Gefühl steigender Erregung, die Mels Tanzbewegungen verursachten. Er war eben doch nur ein Mann.
Süßlich stieg ihm der sündige Geruch des hübschen Mädchens in seine Nase. Er schnupperte an ihren Haaren, während er sie weiter an den Hüften festhielt, und begann ihr sanfte Küsse in den Nacken zu hauchen.
"Hmmm, das fühlt sich gut an!", schnurrte sie und rieb ihren Po noch fester an seinem Schritt, was ihn unwillkürlich aufkeuchen ließ. Verdammt, wie lange hatte er keinen Sex mehr gehabt? Viel zu lange für einen Mann seines Alters.
Zärtlich küsste er weiter die weiche Haut in ihrem Nacken, ehe er sie zu sich umdrehte. Sofort drängte sie sich wieder dicht an ihn und ließ genüsslich ihre Halsbeuge von seinen Lippen liebkosen. Er grinste, als sie leise stöhnte und sich instinktiv noch fester an ihn drückte.
"Wie spät ist es eigentlich?", wisperte sie. Sie hatte ihren Kopf etwas zur Seite gelegt und eine Hand an seinem Rücken platziert, damit er sich nicht mehr von ihr entfernte.
Bill öffnete die Augen, die er vor Genuss geschlossen hatte, und warf einen Blick auf die große Uhr in der Shoppingmall.
"21 Uhr!", murmelte er und saugte sich an der zarten Haut fest. Aber im nächsten Moment wurde er schon von Mel weggeschoben.
"Tut mir leid, dann muss ich jetzt los. Aber . Wenn du möchtest, gibst du mir deine Handynummer? Dann würde ich mich morgen bei dir melden!"
Entschuldigend lächelte sie ihn an. Bill konnte ihr bei diesem Blick einfach nicht böse sein und nickte zustimmend. Rasch suchte er sich einen Zettel raus und schrieb ihr seine Nummer auf, die sie dankend entgegen nahm.
"Morgen - versprochen!", wisperte sie und lächelte ihn noch einmal an. Mit geröteten Wangen beugte sie sich zu ihm vor und legte sanft ihre Lippen auf seine.
Bill seufzte genüsslich auf. Ja, das fühlte sich irgendwie gut an. Zwar nicht so gut wie bei Mara, aber es war dennoch schön.
Er spürte, wie sein Unterleib noch etwas mehr kribbelte. Gott, er war wirklich von dem Tanzen und dem Kuss erregt. Es war ihm peinlich aber hier in den Menschenmassen würde es hoffentlich keiner bemerken.
"Würdet ihr euch bitte mal die Zungen aus den Hälsen nehmen?!", ertönte es plötzlich mit erboster Stimme. Verwirrt löste Bill sich von seiner Bekanntschaft und musste feststellen, dass tatsächlich Mara vor ihnen stand, mit verschränkten Armen und wütendem Blick.
"Bill, ich muss jetzt wirklich los - wir sehen oder zumindest hören uns morgen, ja?"
Ein letzter, kleiner Kuss auf Bills Wange und ein kurzer, verwirrter Blick zu Mara, dann verschwand Mel zwischen den Leuten und ließ Bill und das brünette Mädchen 'allein'.
"Was ist los?", fragte Bill verwirrt und sah seine Angebetete mit wild klopfendem Herzen an. Er wusste nicht, was das sollte, wieso Mara sauer zu sein schien.
"Erst baggerst du mich Monate lang an, tust auf verliebt, küsst mich heute früh und jetzt machst du hier mit einer anderen rum? Wie billig ist das denn?!", fauchte Mara ihn an. Unwillkürlich zuckte Bill zusammen. Sie war wirklich sauer - aber er würde sich jetzt nicht wieder so behandeln lassen. Er konnte nichts dafür und er hatte nichts Unrechtes getan!
"Zum Einen - ja, aber du weist mich ja ständig ab! Und zum Anderen - nein, DU hast mich heute Morgen geküsst, das ist ein Unterschied!"
"Und du hast es genossen!", knurrte sie sofort zurück.
Bill verschränkte seine Arme und sah ihr in die Augen. Sie funkelten und blitzten regelrecht.
"Was ist dein Problem? Ich habe dir nichts getan und nur versucht den Abend zu genießen! Das hast du auch getan, was willst du mir also vorwerfen?"
"Bill, ich .."
Tom trat an sie beide heran und bedachte erst Mara, dann seinen Bruder mit einem kurzen Blick, ehe er wortlos wieder umdrehte und sich rasch vom Acker machte. Es war sofort ersichtlich gewesen, das dicke Luft herrschte und es besser war, Abstand zu halten.
Bill sah wieder zu Mara, nachdem er kurz seinem Zwilling nachgesehen hatte. Sein Herz zog schmerzhaft in seiner Brust. Er wollte sich nicht mit Mara streiten, er liebte sie doch. Aber seit heute Morgen war sie irgendwie nicht mehr sie selbst.
"Du bist erregt . Du machst hier mit dieser Tussi rum und kriegst gleich einen Ständer. Aber ja, ich bin ja die tolle Mara, die du liebst, der du seit Ewigkeiten hinterher rennst!"
Sie war unfair und das machte Bill wütend. Er ließ sich viel gefallen, besonders von ihr, aber irgendwo waren Grenzen. Das da war nicht seine Mara .
"Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich auch nur ein Mann - ein Mensch bin? Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich nach Nähe, Zärtlichkeiten und Berührungen sehne? Soll ich mich wirklich dafür entschuldigen, dass ich so lange auf eine Erwiderung von dir gehofft habe, dass ich jetzt so ausgehungert bin, dass ich von ein bisschen Tanzen und einem Kuss, erregt werde? Ich mag in dich verliebt sein, Mara, aber das gibt dir kein Recht meine Bedürfnisse zu verspotten und mich dafür zu verurteilen, dass ich den Abend genießen wollte! Mir tat es weh zu sehen, wie du dich von diesem Typen hast abschlabbern lassen, wie du mit ihm den Abend genossen hast, aber dennoch verurteile ich dich nicht und habe es dir gegönnt, einen schönen Abend zu haben. Also tu das bei mir bitte auch - und lass es sein auf mir herum zu trampeln, als sei ich ein Stück Dreck! Das bist nicht du! Das ist NICHT die Mara, die heute Morgen geweint hat, weil die kranken Kinder kein Weihnachtsfest kriegen und das ist auch nicht die Mara, die immer so aufrichtig lächelt und freundlich ist!"
Schnaubend stieß Bill die angestaute Luft aus, die sich in seiner Lunge gesammelt hatte. In diesem Moment genoss er Maras aufgelösten Blick, denn er sah, dass es etwas in ihr rührte, etwas in ihr bewegte. Da war sie wieder - seine Mara, nicht die, die ihn den ganzen Tag ignoriert oder schlecht behandelt hatte, als sei er ein einziger Fehler.
"Aber ich . aber das war nicht .!"
"Doch Mara. Es war so, wie ich es gesagt habe und du hast das alles auch so gemeint, wie ich es gerade wiedergegeben habe. Und das ist nicht fair. Du bist nicht so . Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber ich bitte dich . sei wieder du selbst!"
Seufzend schloss sie einen Moment die Augen. Ihr Körper zitterte leicht, sodass er einfach nicht anders konnte und sie fest in eine Umarmung zog. Sofort intensivierte sich das Beben ihres Körpers noch mehr. Erst dachte er, sie würde ihn von sich stoßen, stattdessen krallte sie sich in seine Schultern und begann zu schluchzen.
"Schhhh...!", wisperte er und streichelte ihr liebevoll über den Rücken.
Gott, es tat so unglaublich gut, hier zu stehen und sie in den Armen halten zu können. Er konnte nicht beschreiben, wie sehr sich sein Herz gerade erwärmte und wie viel Glück seinen Körper durchströmte. Seine Mara war wieder da .
Er hielt sie, stand einfach da und spürte, wie das Beben ihres Körpers immer mehr abebbte. Genüsslich hatte er seine Augen geschlossen. Sie hielt sich an ihm fest. Er war gerade ihr Halt, ihr Fels in der Brandung, wie man so schön sagte .
Sanft löste sie sich wieder von ihm, brachte ihn dazu seine Augen wieder zu öffnen und sie anzusehen. Sie schniefte leise und sah auf den Boden.
Sie sah so unglaublich süß und zerbrechlich in diesem Moment aus. Er konnte nicht anders und hob mit zwei sanften Fingern unter ihrem Kinn, ihr Gesicht an. Liebevoll lächelte er sie an und beugte sich wie automatisch vor - und brachte mit einem einzigen, kurzen Kuss voller Liebe, wieder alles zum Zerbrechen...
"Offensichtlich hast du sie rumgekriegt und jetzt ist sie verwirrt", mutmaßte Tom in der Mittagspause. Sie saßen im verschneiten Innenhof auf der Bank hinter den Tannen und blickten auf den zugefrorenen Ziersee. Bell war zur Mittagspause mit den anderen Schwestern, in die in die Mensa gegangen und vermutlich giggelten, und tuschelten sie darüber, was sie ihren Freunden und Männern zu Weihnachten schenkten.
Bill zuckte die Schultern und nippte schlecht gelaunt an seinem Kaffee. Eigentlich sollte er glücklich sein, doch Maras Reaktion hatte ihn verunsichert und bereitete ihm Bauchschmerzen.
Als sein Bruder weiterhin schwieg, legte Tom ihm den Arm um die Schultern und lachte.
"Das wird schon, Billy. Mara ist eben ein besonderer Typ Frau, da musst du einfach Nachsicht haben. Nachher schnappen wir sie uns und fragen sie, ob sie nochmal Lust hätte, mit uns wegzugehen. Einverstanden?"
Abermals zuckte Bill die Schultern.
Tom lächelte mitleidig. Bill hatte es wirklich nicht leicht mit Mara.
"Wie wäre es, wenn wir nachher nochmal zu Jimmy gehen? Du musst ihm eh Blut abnehmen und ich könnte ihm danach ein paar Akkorde zeigen. Ich glaube, der Kleine mag dich. Und ich bin sicher, wenn Mara sieht, wie du dich um ihn kümmerst, dann wird sie sich wieder einkriegen."
"Kann schon sein", brummte Bill, drückte seine Zigarette im Schnee aus und warf sie in den Mülleimer. "Aber jetzt sollten wir weitermachen."
Schweigend liefen sie ins Foyer zurück und fuhren mit dem muffig riechenden, verspiegelten Fahrstuhl in die Kinderstation. Als sie durch die verglasten Türen traten, nahm sich Bill wieder zusammen. Seine Laune hatte man in keinem Fall an den Patienten auszulassen.
"Ich werde mal nach Emily und George sehen", sagte Bill und zwang sich zu einem Lächeln.
"Ja, ich komme gleich nach", antwortete Tom. Er hatte den Satz kaum beendet, da tänzelte er auch schon auf Bell zu.
Neidisch wandte Bill sich ab und lief ins Patientenzimmer 2b.
Als er die Tür öffnete und eintrat, glaubte er seinen Augen kaum. Neben George saß ein blonder, junger Mann mit schwarzer Brille und runden Bäckchen - sein Freund Gustav.
Er war Psychologiestudent und war zuletzt in England zu einem Auslandssemester gewesen. Nach Bills letztem Stand hatte er eigentlich ein weiteres Semester dranhängen und erst im Februar zurückkommen wollen.
"Gustav?", fragte Bill freudig und lief mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. "Was machst du denn hier?"
Gustav sprang von seinem Stuhl auf.
"Hey, Bill!"
Fest umarmten die beiden jungen Männer sich, ehe Bill und George sich ebenfalls begrüßten.
Breit grinsend beugte Bill sich zu Emily runter und knuffte sie in die Seite, woraufhin sie freudig lachte.
"Na junge Frau? Was machen denn deine Arme?"
"Besser!", lachte sie weiterhin und streckte ihm ihre Arme entgegen. Prüfend sah der Student die Verbrennungen an. Es sah wirklich schon wesentlich besser aus. Die Verletzungen waren nicht mehr so stark gerötet, aber dennoch noch immer im Auge zu behalten. Wahrscheinlich würden auch zumindest leichte Narben zurückbleiben.
Bill setzte sich auf die Bettkante und streichelte durch die Bettkante hindurch, die kleinen, zierlichen Beine des Mädchens, als er wieder zu George und dann zu Gustav sah.
"Jetzt erzähl? Wieso bist du denn schon wieder hier? Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, aber du wolltest doch eigentlich noch ein paar Monate bleiben, oder?"
Gustav nickte und gähnte kurz. Er schien müde und erschöpft zu sein.
"Ja, eigentlich schon. Aber ich habe ein Angebot für eine Doktorarbeit bekommen, deswegen bin ich vorzeitig zurückgekommen", erklärte er und sah dann lächelnd zu Emily, die ihren Teddybären fest an sich drückte und ihm irgendetwas erzählte.
Bill lüpfte erstaunt die Augenbrauen und zeigte als positive Reaktion einen Daumen nach oben.
"Und welcher Themenbereich?", hakte er dann nach.
"Familiäre Kommunikation bei Krebserkrankungen."
Augenblicklich dachte Bill an Jimmy und an die Tatsache, dass er keine Familie hatte. Er erzählte dem Studenten von Jimmy und Gustav war sofort interessiert an ihm, bat Bill, ihm den Jungen später vorzustellen.
"Aber mal was anderes", unterbrach George sie. "Da Emily heute Nacht wohl noch hier bleiben muss und mir zuhause die Decke auf den Kopf fällt, könnten wir doch zusammen etwas unternehmen." Er reichte Bill einen Flyer, auf dem das Rockefeller Center zu einer Weihnachtsparty einlud.
"Der Eintritt ist okay und es gibt eine Menge kleinerer Attraktionen", grinsend wandte er sich zu Gustav, "und später am Abend einen Strip von Mrs. Clause."
"Ich bin dabei", rief Gustav begeistert und sah Bill fragend an.
"Klar, wieso nicht. Tom und Bell wollten ohnehin ausgehen und ich würde auch jemand fragen."
Gustav schob die Brauen zusammen:
"Immer noch das Mädchen aus der Uni?"
George lachte und beantwortete die Frage für Bill.
"Ja und sie arbeitet auch hier, was der Grund ist, warum Bill nicht zuhause auf dem Sofa hängt und seine Ferien genießt."
"Verstehe", sagte Gustav. Er legte Bill die Hand auf die Schulter. "Vielleicht kann ich dir ja den einen oder anderen psychologischen Frauentrick geben."
Bill rollte lachend die Augen und schüttelte den Kopf.
"Nett gemeint, aber wenn, dann möchte ich sie gerne auf meine Art und Weise erobern!", zwinkerte er und erhob sich wieder von dem Bett. "So Leute, ich muss weiter arbeiten. Jungs? Wir sehen uns nachher sicher. Ich frage erst mal Tom und Bell was sie von Georges Vorschlag halten und Mara ziehe ich mir dann auch mal zur Seite, um sie zu fragen. Ich melde mich auf jeden Fall vor Feierabend noch mal, ja?"
Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Bill den Raum und sah sich auf dem Flur suchend um. Er wusste gerade gar nicht so recht, was er machen sollte. Nur das Blutziehen bei Jimmy . Aber so recht wusste er nicht, ob er sich das schon alleine traute. Vielleicht sollte er sich da Mara noch mal zur Hilfe hinzuziehen? Das konnte er ja als Vorwand nutzen und schließlich auch gleich fragen, ob sie heute Abend nicht vielleicht mitkommen wollte.
"Hey Bill, alles klar?"
Angesprochener drehte sich um und erblickte Bell, die lächelnd vor ihm stand. Perfekt.
"Ja, alles klar. Sag mal, Tom meinte vorhin zu mir, dass wir heute Abend ja noch mal ausgehen könnten. George und Gustav - der ist schon vorzeitig wieder hier - fragten, ob wir mit ins Rockefeller Center gehen wollen. Da soll heute eine Party sein. Kannst ja Tom mal fragen."
Dass Bell ihm antwortete, hörte er gar nicht mehr, denn da war sein Blick schon auf Mara gefallen, die am Schwesterntresen ihre Akten abgab. Eilige lief er an Bell vorbei und rief so laut nach Mara, dass sie keine Chance mehr hatte, ihm durch die Lappen zu gehen.
Augenblicklich verdüsterte sich ihr Gesichtsausdruck.
"Was ist? Ich habe zu tun."
Ihre Feindseligkeit schmerzte ihn, doch inzwischen war er sich sicher, dass Tom recht hatte. Offensichtlich war Mara mit ihren Gefühlen überfordert.
"Ich will bei Jimmy die Blutentnahme machen. Würdest du mich noch einmal anleiten?"
"Du hast das gestern sehr gut gemacht. Ich sehe keinen Grund dir zu helfen", antworte sie kühl und wollte sich zum Gehen abwenden, doch er packte sie am Arm und zog sie wieder zu sich.
"Bitte", sagte er eindringlich.
Ihr Gespräch hatte inzwischen am Tresen Aufmerksamkeit erregt. Einige der Schwestern sahen die beiden neugierig an und tuschelten, sodass Mara widerwillig nickte und ihm zu Jimmys Zimmer folgte.
"Das hättest du auch machen können, ohne Aufsehen zu erregen!", knurrte sie ihm leise zu, als sie die Tür öffnete.
"Das kann ich nur zurückgeben!", zuckte Bill mit den Schultern. Er wollte sich nicht die Laune verderben lassen und schon gar nicht, wollte er sich herablassend behandeln lassen und dann womöglich noch auf Knien kriechen. Er liebte Mara, keine Frage. Aber er wollte ihr auch zeigen, dass er sich von ihrer plötzlichen Boshaftigkeit nicht unterkriegen oder gar deprimieren ließ.
Es kam nur ein Seufzen als Antwort, ehe Mara schon in den Schränkchen kramte und alles hervorholte, was sie brauchten.
"Hallo Jimmy! Wir kommen wieder Blutabnehmen, ja? Ist es okay, wenn Bill das wieder tut?"
Freudestrahlend nickte der Kleine. Lachend wuschelte Bill ihm durch die Haare, als er an seinem Bett zum Stehen kam.
"Wie geht es dir denn heute?", hakte er nach. Langsam ließ er sich in die Hocke gleiten, um nicht so von oben herab mit dem Jungen sprechen zu müssen.
"Mein Kopf tut etwas weh aber die Schwestern haben mir schon etwas gegeben", erklärte er, drehte sich zu seinem Nachtschrank und griff nach dem Buch, aus dem Mara ihm gestern vorgelesen hatte. Interessiert blickte Bill auf den Titel. "Weihnachten ist überall"
"Das hat Mara mir geschenkt", sagte Jimmy auf Bills fragenden Blick. "Da steht, wo überall Weihnachten gefeiert wird und wie. Ich freue mich schon auf Weihnachten, da gibt es nämlich einen Baum und Geschenke und man muss immer artig sein, damit der Weihnachtsmann auch kommt."
Bill sah aus den Augenwinkeln, wie Mara zusammenzucke und ihr ein halblautes Seufzen entfuhr.
"Mein Bruder will dir nachher ein paar Akkorde auf deiner Gitarre zeigen", sagte Bill eilig, um vom Thema abzulenken. "Wie findest du das?"
Jimmys blaue Augen leuchteten glücklich. Aufgeregt nickte er, legte das Buch beiseite und fiel Bill um den Hals.
"Danke, danke, danke!"
Lachend erwiderte Bill die Umarmung und strich ihm über den Kopf. Wie einsam musste sein Leben sein, wenn die einzigen Bezugspersonen Ärzte, Studenten und Schwestern waren, die ihm ein paar Stunden am Tag beistanden?
"Kein Problem, Jimmy", flüsterte er mitfühlend, ließ ihn los und nahm sich wieder zusammen. Er schlüpfte in ein paar Handschuhe, schob Jimmys Ärmel hoch und desinfizierte seine Armbeuge.
"Brrr", machte Jimmy kichernd, als das kalte Desinfektionsspray seine Haut benetzte.
"Entschuldige", grinste Bill, wischte über das dünne Ärmchen und bewaffnete sich mit der Butterflykanüle. "Und jetzt ganz tief einatmen." Als der Junge Luft hatte, stach er zu und schob die Kanüle sanft in die Vene, ganz so, wie Mara es ihm gezeigt hatte. In einem Anflug von Stolz drehte er sich zu ihr um und lächelte.
"Gut", sagte sie und sah eilig weg.
"Hat wieder nicht wehgetan", lobte Jimmy und nickte.
Vorsichtig befestigte Bill das erste Serumröhrchen und räusperte sich:
"Äh, Mara? Zwei Freunde von mir, der Vater des Mädchens aus 2b und ein Kumpel, der aus England zurückgekommen ist, wollen heute Abend mit Tom, Bell und mir ins Rockefeller Center gehen. Da ist eine Weihnachtsparty, und da Weihnachten so magst, dachte ich . also ich dachte, wir könnten zusammen hingehen."
Es dauerte keine zwei Sekunden, da schüttelte die Brünette, die neben ihm stand und seine Arbeit beobachtete, den Kopf.
"Nein danke. Ich gehe heute schon mit Steve, dem Assistenzarzt der Station, dort hin", antwortete sie und nahm das Serumröhrchen entgegen, um es in die kleine Nierenschale zu legen. Bill steckte das zweite Röhrchen an und schluckte schwer.
"Kennst du ihn? Ist er ein Freund? Er könnte ja eventuell . auch mit kommen."
Abermals schüttelte Mara den Kopf.
"Ich kenne ihn noch nicht so, aber er hat vorhin gefragt ob wir heute dorthin ausgehen. Wir hoffen also, einander besser kennenzulernen! Und nein . Ich denke es wäre unangebracht das erste Date mit ein paar weiteren Leuten, Kollegen, zu verbringen."
Weitere Leute . Kollegen . Das war er also noch immer für sie. Und die anderen auch - trotz des gestrigen, schönen Abends. Er hatte gehofft er und die anderen jetzt wenigstens so eine Art Freunde für sie wären. Und dann nannte sie das mit dem Assistenzarzt auch noch Date .
Bill spürte, wie sein Herz immer schmerzlicher klopfte. Es tat weh, das so zu hören. Wollte sie ihm jetzt absichtlich wehtun? War das vorhin wirklich so falsch gewesen, in ihren Augen, obwohl sie es ja selbst getan hatte? Ihre Lippen hatten sich so herrlich auf den seinen angefühlt. Und jetzt war sie scheinbar sauer, war kalt zu ihm und wollte mit einem anderen Mann ausgehen .
"Hallo, Bihill! Hörst du mal? Das Röhrchen ist voll, du kannst die Kanüle ziehen!", ermahnte Mara ihn, bis er zusammenzuckte und aus seinen Gedanken gerissen wurde.
Rasch entfernte er das Serumröhrchen, reichte es wieder seiner Angebeteten, und zog dann auch die Kanüle. Fest, aber darauf bedacht es nicht zu fest zu tun, drückte er einen Tupfer auf die Einstichstelle und langte nach einem Pflaster, welches er dann sachte auf die geschundene, zerstochene Haut klebte. Der Junge war wirklich zu bemitleiden - und er jammerte innerlich die Ohren von Bell und Tom voll, weil er diese junge Frau einfach nicht erobert bekam.
Mara nahm ihm das zweite Röhrchen ab, stecke es in eine durchsichtige Labortüte und beklebte die Außenseite mit einem von Jimmys Patientensticker.
"Ich bringe das ins Labor", sagte sie und verschwand so schnell aus dem Zimmer, dass Bill keine Möglichkeit blieb, noch etwas zu erwidern.
"Hast du Streit mit Mara, Dr. Bill?", fragte Jimmy und sah ihn mit seinen großen unschuldigen Augen an.
Instinktiv schüttelte Bill den Kopf und lächelte:
"Nein, Mara hat nur etwas schlechte Laune." Auch, wenn es gelogen war - ein krankes Kind musste man nicht mit dem Leid der anderen belegen.
"Und warum will sie nicht mit dir dahingehen?", fragte er weiter und fischte nach seinem Buch.
"Das würde ich auch gern wissen", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Jimmy.
Wie versprochen, zeigte Tom Jimmy nach Feierabend noch ein paar Akkorde, während sich George von seiner Tochter verabschiedete und Gustav Jimmys Verhalten analysierte.
Bell hatte für eine ihrer Freundinnen eine zusätzliche Schicht übernommen und würde sie nicht begleiten.
Bill zuckte die Schultern, als er, mit dem Rücken an den Schwesterntresen gelehnt, mit Bell sprach und auf Tom und die anderen wartete.
"Dann wird das wohl ein Männerabend", sagte er und kniff die Augen zusammen, als Mara mit dem Assistenzarzt um die Ecke bog.
"Nicht zu fassen, dass sie so eine Show abzieht", brummte Bell aus Solidarität und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Erst mit dir rummachen und dann mit diesem Idioten ausgehen. Die ganze Station weiß, dass er nur darauf aus, kleine Studentinnen um den Finger zu wickeln und ihnen zu zeigen, wie großartig er ist. Von den Schwestern habe ich jedenfalls gehört, dass sein Mund wesentlich größer ist, als der Rest, wenn du verstehst, was ich meine."
Bell zwinkerte ihm verschwörerisch zu und Bill musste unwillkürlich grinsen. Aber zugegebener Maßen sah Steve nicht schlecht aus. Er war groß, schlank und dunkelhaarig und hatte ein symmetrisches Gesicht. Eine dunkle Brille umrahmte seine kleinen, arroganten Augen und der Dreitagebart ließ ihn ein Stück weit verwegen und geheimnisvoll aussehen.
Demonstrativ sah Bill zu Mara, als sie mit Steve an ihm vorbeilief, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Bill machte ein abfälliges Geräusch und wartete, bis die beiden die Station verlassen hatten, ehe er mit Bell über den Assistenzarzt herzog.
Als Tom, Gustav und Georg einige Minuten später mit Bill das Krankenhaus verließen, hatte es wieder begonnen zu schneien. Sanft und lautlos rieselte der Schnee auf den Bus, der sie zum Rockefeller Center brachte. Die meisten New Yorker Fenster waren inzwischen in herrlichen bunten Farben geschmückt und hier und da schmunzelte Bill über Leute, die umständlich einen Weihnachtsbaum durch ihre Türen hievten. So viel Aufwand, soviel Stromkosten und so viel unnütze Sentimentalität für ein Fest, das die Geburt eines Mannes ehren sollte, an den die meisten hier schon nicht mehr glaubten.
Er dachte an Jimmy und die Begeisterung in seiner Stimme, als er von Weihnachten gesprochen hatte, von dem Baum und den Geschenken und den Menschen, mit denen man sich umgab. Für diesen Jungen war Weihnachten kein christliches Fest, sondern nur ein Chance, für einen Moment die Einsamkeit zu vergessen, die sich so unbarmherzig in sein Leben geschlichen hatte.
Er lächelte traurig, verwundert darüber, dass er sich so viele Gedanken um einen Jungen machte, den er kaum mehr als zwei Tage kannte. Wo war die Mauer, wenn man sie brauchte?
"Bill, wir müssen aussteigen!", rief Tom ihm zu, der schon in der Bustür stand und eilig winkte.
Aus seinen Gedanken gerissen, sprang Bill auf und hechtete aus dem Bus in die Menschenmengen, die sich am Rockefeller Center versammelt hatten. Die Eisbahn und die winzigen Stände waren noch voller als sonst und auch die Einkaufspassagen wirkten überfüllt. Hoffentlich, dachte Bill, wollte sie nicht alle zu der Party.
Sofort schlug ihm die Kälte entgegen, als der Bus hinter ihm, sich wieder in Bewegung setzte. Es war wirklich eisig und trotz der vielen Gebäude hier in Manhattan, wehte ein frischer Wind.
"Sag mal, was ist denn los? Nimmt das von Mara wirklich so sehr deine Gedanken ein?", fragte Tom besorgt nach. Abermals war er wieder in Gedanken abgedriftet, die ihn sein ganzes Umfeld ausblenden ließ. Entschuldigend lächelte er seinen Bruder und auch George und Gustav an, die ihn mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie Tom, bedachten.
"Nein passt schon, nur . Weißt du, wieso Mara heute so aufgelöst war?"
Tom schüttelte den Kopf. Er hatte Bill nicht darauf angesprochen, war die ganze Zeit recht beschäftigt gewesen und wollte nicht zwischen Tür und Angel die Probleme anderer besprechen.
Bill nickte in Richtung des Rockefeller Centers. Sein Bruder und seine Freunde setzten sich mit ihm in Bewegung und lauschten aufmerksam seinen Worten, als er begann zu erzählen.
"Das Krankenhaus hat kein Geld für ein Weihnachtsfest für die Kinder, deswegen war sie so aufgelöst und irgendwie kann ich das auch verstehen. So viele Kinder sind im Krankenhaus, die zu Weihnachten nicht zu Hause sein können. Von manchen wird es sogar das letzte Weihnachten sein. Und dann sollen sie kein Weihnachtsfest haben? Das ist nicht fair. Ich habe Mara versprochen, dass wir das schon irgendwie hinkriegen und das meine ich auch so - nicht nur wegen Mara, sondern auch für die Kinder. Wir brauchen ein Weihnachtsfest, wenigstens ein Kleines! Ein bisschen mehr Deko, kleine Geschenke . Wir könnten den Besprechungssaal nehmen, damit wir alle etwas beisammen sein könnten. Für ein paar Kekse, Tee und Kakao werden wir ja wohl das Geld irgendwie zusammen kriegen und eben kleine Geschenke. Kuscheltiere, Spielzeug, irgendwie so was. Was meint ihr denn dazu? Wenn wir das alle anpacken, dann geht das . Dann können wir den Kleinen doch wenigstens ein kleines Weihnachtsfest bereiten, oder?"
Vor dem Rockefeller Center blieb Bill stehen und wandte sich Tom und den beiden anderen zu. Erwartungsvoll sah er sie an und war wirklich erleichtert, als alle Drei nickten.
"Denke schon, dass wir das hinkriegen. Wir könnten ja in ein paar Spielzeugläden herumgehen, und um Spenden bitten? Also nicht jetzt, aber ...", begann Tom, wurde aber sogleich von Georg unterbrochen.
"Ich mache das! Wie gesagt, mir fällt zuhause eh die Decke auf den Kopf. Ich kann morgen ein paar Läden abklappern, bevor ich zu meiner kleinen Maus ins Krankenhaus gehe. Da könnte ich euch dann auch gleich Bescheid geben, ob ich Erfolg hatte!"
Sofort begann Bill zu strahlen.
"Du bist . klasse! Und Tee, Kakao und Plätzchen kriegen wir auch so zusammen. Was brauchen wir denn sonst noch?"
"Ihr habt doch ab übermorgen die Abendschichten", sagte Gustav und grinste voller Tatendrang, "Da könnten wir uns bei euch treffen und Plätzchen machen."
Tom schüttelte den Kopf:
"Unsere Küche ist zu klein, da werden wir uns nur unnötig auf die Füße treten."
"Dann machen wir es bei Bell", schlug Bill vor, doch abermals schüttelte Tom den Kopf.
"Ihre Mitbewohnerin hat ihre Eltern da, das wird also auch nichts."
"Im Notfall haben wir noch meine Küche", lachte Georg und deutete auf die Schlange vor einem der Einkaufszentren, die zum Rockefeller Center gehörten. In bunten Farben leuchtete eine Reklame mit der Aufschrift 'X-Maß Party' über dem Eingang.
Als sie sich anstellten und der Schnee sich kalt auf Bills Wangen legte, entdeckte er Mara und Steve ein Stück weiter vor. Der Assistenzarzt hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und grinste sie blöd an. Wenigstens sah Mara nicht besonders interessiert aus.
Tom legte Bill zum Trost die Hand auf die Schulter.
"Lass gut sein, Bill ..." Er lächelte ihm aufmunternd zu, "Heute Abend werden wir unseren Spaß haben, ja?"
Bill nickte mit einem schiefen Lächeln und zwang sich, den Blick von Mara abzuwenden. Es dauerte nicht lange, ehe sie ins Innere gelangten. Gustav lud sie auf seine Rückkehr spendablerweise ein, und nachdem sie ihre Jacken abgegeben und sich mit Glühwein bewaffnet hatten, liefen sie durch die große, weihnachtlich geschmückte Eingangshalle des Centers. Überall standen reich geschmückte Bäume, Girlanden, mannshohe Zuckerstangen, riesige Glocken und knapp bekleidete Elfen und Elflinnen.
Bill grinste Tom zu: Das war definitiv ein Party für Erwachsene. Die Geschäfte hatten allesamt offen. Stände mit Bier, gebrannten Mandeln und Glückwein waren aufgebaut worden und durch die gewaltigen Deckenlautsprecher drang beat-lastige Musik. Man hatte eine Bühne aufgebaut, auf der später eine Show stattfinden würde - nicht zuletzt der Strip- und Lapdance, auf den sich Georg als Alleinerziehender besonders freute - und davor war mit schmalen Holzbrettern eine große Tanzfläche markiert, auf der sich bereits einige hübsche Mädchen tummelten.
"Jungs, ich sag euch, das war eine gute Idee", schwärmte Georg und nahm einen gehörigen Schluck aus seinem dampfenden Becher.
"Und ich muss brav sein!", schmollte Tom und heimste sich ein Lachen seitens der beiden G's ein.
"Gucken ist doch immer erlaubt, nur die Fingerchen sollten lieber bei dir bleiben!"
Gehässig grinste Gustav den jüngeren Studenten an. Ja, er war ja auch Single, er hatte also wie George freie Bahn und konnte daher große Töne spucken.
"Pff, macht ihr nur. So eine heiße Schnitte wie meine Anna-Bell bekommt ihr eh nicht ab. Von so einer könnt ihr nämlich nur träumen!"
Frech streckte Tom den beiden die Zunge raus, ehe er sich seinem Bruder zu wandte, der wie gebannt in eine Richtung starrte.
Bill hatte wieder Mara und Steve entdeckt.
"Der leckt die ab, als sei sie die Weihnachtshure höchstpersönlich!", knurrte Bill trocken. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte er diesen Kerl windelweich geprügelt. Niemand sollte Mara küssen, außer er selbst. Und vor allem sollte niemand sie so ablecken, wie der Arsch es tat. Sie musste zärtlich, einfühlsam und leidenschaftlich geküsst werden . Zumindest nahm er es an, denn die brünette Schönheit machte nicht den Eindruck, als wäre sie sonderlich angetan von seinem Geschlabber und den Eindruck eine zu sein, die einfach wild herumknutschte, machte sie auch nicht.
Bill erschauderte und wandte sich von diesem Anblick ab. Er konnte und wollte sich das nicht mehr ansehen, es tat viel zu sehr weh. Wenn Mara meinte, seine Anwesenheit auszuschlagen und stattdessen mit diesem dummen Möchtegern - Gigolo ausgehen zu müssen, dann sollte sie das halt tun. Er war weder ihr Aufpasser, noch ihr Freund, auch wenn er beides gern wäre.
Hastig nahm Bill einen großen Schluck seines Glühweins und sah aufmerksam zu den G's, die wild diskutieren, wohin sie jetzt als Erstes gehen würden, oder was sie nun überhaupt machen sollten. Währenddessen wurde er von seinem Bruder gemustert, aber Bill ignorierte es. Tom kannte ihn viel zu gut. Das war überwiegend vorteilhaft, manchmal konnte es aber auch nervig und lästig werden. Wie jetzt - aber er wollte nicht über die Sache mit Mara diskutieren oder gar bemitleidet werden, sondern er wollte wirklich den Abend genießen.
"Schaut mal, die Show auf der Bühne geht los. Lasst uns mal da hingehen, da kann man sich auch hinsetzen. Wäre doch ein guter Start beisammenzusitzen, sich erst mal vom Tag zu erholen, Glühwein zu trinken und die Show anzuschauen!
Auch wenn sich Bill sich reichlich Mühe gab, verfolgte er die Show nur nebenbei. Immer wieder glitt sein Blick zu Mara, und wenngleich die all seine Avancen erwiderte, hatte Bill dennoch den Eindruck als würde sie nichts davon ernst meinen. In ihren Augen lag nicht die Zärtlichkeit, der er noch heute Morgen darin gelesen hatte.
Plötzlich stieß ihn jemand von hinten an. Sein Glühwein schwappte im Bogen über den Rand der Tasse und landete mit einem platschenden Laut zur einen Hälfte auf seinen Stiefeln und zur andern auf dem hellen marmorierten Boden des Einkaufszentrums.
Verärgert drehte er sich um, doch sein Blick hellte sich augenblicklich auf, als er in das rosige Gesicht einer jungen Blondine in seinem Alter sah. In ihren großen dunkelblauen Augen lag ein entschuldigender Ausdruck und so konnte er gar nicht anders als lächeln.
"Oh Mist, entschuldige bitte", rief sie und fischte eine Taschentuchpackung aus ihrer Jacke.
"Es tut ihr so leid. Ich bin wirklich so ungeschickt."
"Schon okay", sagte er, nahm sich ein Tuch und wischte über seine Stiefel. "Ist ja nichts passiert."
Das Mädchen lief um die Bank auf welcher Bill und die anderen saßen, herum und zückte ihr Portemonnaie:
"Ich werde dir den Glühwein bezahlen. Echt, ich bin so ungeschickt."
Das Mädchen war ausgesprochen hübsch, zwar tollpatschig aber irgendwie sympathisch. Mit einem letzten Seitenblick auf Mara seufzte Bill und ergriff seine Chance. Was Mara konnte, konnte er schon lange.
"Wie wäre es, wenn ich dir einen Glühwein ausgebe?", fragte er und setze das charmante Lächeln auf, dass er sich bei seinem Bruder abgeguckt hatte. Von der Seite erntete er einen beeindruckten Seitenblick von Tom.
"Ich heiße übrigens Bill."
"Ich bin Melany", sagte sie und grinste. "Und ich würde gerne einen Glühwein mit dir trinken, Bill, aber dann müssen wir uns beeilen, ich habe nämlich in zwanzig Minuten hier meinen Auftritt."
Bill stand auf und lächelte interessiert.
"Mit was trittst du denn auf?"
Melany grinste etwas unverschämt.
"Das wirst du dann schon sehen. Ich verrate nur so viel: Ich tanze und der Song heißt 'Sexy, sexy Santa'."
In Bills Ohren klingelte das unverkennbare Geräusch eines Jackpots in Las Vegas. Er hatte eine Tänzerin erwischt - Volltreffer! Gustav und Georg sahen ihn neidisch an, während Tom nickte, wie ein stolzer Vater dessen Sohn seinen ersten Nagel in die Wand geschlagen hatte.
"Also, wollen wir?", fragte Bill und bot ihr den Vortritt. Ohne sich umdrehen zu müssen, wusste Bill, dass die Jungs hinter seine Rücken schweinische Grimassen zogen.
Die Jungs wussten aber auch, dass sie bei ihm nicht viel erwarten brauchten. Bill war kein Mensch, der eben mal eine Nummer schob und die Mädchen dann wieder abservierte. Er hatte zwar auch schon kurze Techtelmechtel gehabt, aber er stand auf Niveau und zwischen Tür und Angel hier . Nein.
"Wie lange ist denn nachher dein Auftritt?", fragte er nach, als sie an einer der Buden anstanden und darauf warteten, dass sie dran kamen.
"Naja, ich hab den Auftritt und dann noch zwei weitere mit anderen. So etwa 30 bis 40 Minuten mit Umziehen und nachschminken - wieso?!", schmunzelte sie ihn keck an und schien genau zu wissen, worauf er hinaus wollte.
"Na ja, ich dachte wir könnten nach deinem Auftritt ja vielleicht noch ein bisschen quatschen oder tanzen, wenn du Lust hast? Ich finde dich wirklich nett und . süß!"
Bill war es peinlich, aber es legte sich tatsächlich ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen. Gott, er war so aus der Übung, abgesehen von seinen Bemühungen bei Mara. Aber bei ihr . war das irgendwie etwas anderes. Er kannte sie kaum und dennoch kam es ihm vor, als sei es genau das Gegenteil.
"Aber gern doch. Hey, schau wir sind dran!"
Der Budenverkäufer sah die beiden erwartungsvoll an. Bill bestellte schnell zwei Becher Glühwein - einen Großen für sich und auf den Wunsch seiner Begleitung hin, für sie einen Kleinen. Aber er brauchte gerade einfach ein bisschen mehr. Er war irgendwie . durcheinander. Der Tag war weder so verlaufen, wie er es sich gewünscht hatte, noch so wie er es erwartet hatte. Maras Kuss, dann ihre Abweisende, teils herablassende Art und jetzt . ging sie mit diesem Möchtegernarzt aus und er selbst flirtete tatsächlich mit einem anderen Mädchen, obwohl sein Herz noch immer nach Mara verlangte.
"Na dann lass uns mal zurück zu den anderen gehen. Die muss ich dir sowieso noch vorstellen!"
Gustav und Georg stellten Melany, die inzwischen darauf bestand, Mel genannt zu werden, unzählige Fragen, so, dass die zwanzig Minuten im Handumdrehen verflogen waren. Auch wenn sie um ihren Auftritt ein kleines Geheimnis gemacht hatte, wurden Bill und die anderen nicht enttäuscht.
Ein attraktiver muskulöser Mann, der als Santa verkleidet war, trat auf die Bühne und heizte die Stimmung bei den Frauen an, als er sich seines unechten Bartes und seiner roten Weihnachtsjacke entledigte. Die Muskeln, die darunter zum Vorschein kamen, ließen jeden Mann hier im Center dagegen blass aussehen. Dann endlich kamen fünf bildhübsche, in knappen Miniweihnachtskleidern bekleidete, Tänzerinnen auf die Bühne und betanzten ihren "sexy, sexy Santa".
Nach und nach ließen die Mädchen ihre Hüllen fallen, bis sie nur noch in einer Art Weihnachtsbikini auf der Bühne standen und den Männern das Atmen schwer machen.
Bill hatte seinen Blick auf Mel gerichtet, die ihren kurvigen Körper so gekonnt und natürlich zur Musik bewegte, als hätte sie nie etwas anderes getan. Als ihn das unangenehme Gefühl beschlich, beobachtet zu werden, entdeckte er Mara, die ins Steves Armen ein paar Meter neben ihm stand. Als seine Augen die ihren trafen, sah sie eilig zu Boden. Von da an schluckte Bill jeden neuerlichen Drang, zu ihr herüber zu sehen, tapfer hinunter und fixierte stattdessen Mel, die ihm am Schluss ihrer Show verwegen zuzwinkerte.
Sie stieß später dazu, als sich Bill, Tom, Gustav und George bereits auf der Tanzfläche verausgabten. Der Glühwein war ihnen bereits zu Kopf gestiegen und hatte ihre Füße federleicht und ihre Hemmungen überwindbar gemacht.
"Na dann zeig der Tänzerin mal, wie man tanzt, Billy!", rief George über die Musik hinweg.
Mel hatte ihn gehört, lächelte Bill an und sagte:
"Privat tanze ich auch nur, wie jeder andere."
Bill nahm seinen Mut zusammen, was angesichts seines Alkoholpegels kein besonderes Problem darstellte, und grinste.
"Das ist aber schade."
Mel nahm das als Aufforderung an, zog die linke Augenbraue hoch und drehte sich um. Rückwärts tanzend war sie plötzlich so dicht an ihm, dass er den Stoff ihres kurzen Rockes an seinen Lenden spürte. Sie griff nach seinen Armen, postierte seine Hände auf ihrer Hüfte und tanzte so eng mit ihm, dass kaum mehr ein Blatt Papier zwischen ihre Hüften gepasst hätte.
"Ist das besser?", fragte sie und grinste.
"Viel besser", hauchte Bill in ihr Ohr. In seinem Kopf schwirrte der Alkohol, paarte sich mit der lauten Musik und dem Gefühl steigender Erregung, die Mels Tanzbewegungen verursachten. Er war eben doch nur ein Mann.
Süßlich stieg ihm der sündige Geruch des hübschen Mädchens in seine Nase. Er schnupperte an ihren Haaren, während er sie weiter an den Hüften festhielt, und begann ihr sanfte Küsse in den Nacken zu hauchen.
"Hmmm, das fühlt sich gut an!", schnurrte sie und rieb ihren Po noch fester an seinem Schritt, was ihn unwillkürlich aufkeuchen ließ. Verdammt, wie lange hatte er keinen Sex mehr gehabt? Viel zu lange für einen Mann seines Alters.
Zärtlich küsste er weiter die weiche Haut in ihrem Nacken, ehe er sie zu sich umdrehte. Sofort drängte sie sich wieder dicht an ihn und ließ genüsslich ihre Halsbeuge von seinen Lippen liebkosen. Er grinste, als sie leise stöhnte und sich instinktiv noch fester an ihn drückte.
"Wie spät ist es eigentlich?", wisperte sie. Sie hatte ihren Kopf etwas zur Seite gelegt und eine Hand an seinem Rücken platziert, damit er sich nicht mehr von ihr entfernte.
Bill öffnete die Augen, die er vor Genuss geschlossen hatte, und warf einen Blick auf die große Uhr in der Shoppingmall.
"21 Uhr!", murmelte er und saugte sich an der zarten Haut fest. Aber im nächsten Moment wurde er schon von Mel weggeschoben.
"Tut mir leid, dann muss ich jetzt los. Aber . Wenn du möchtest, gibst du mir deine Handynummer? Dann würde ich mich morgen bei dir melden!"
Entschuldigend lächelte sie ihn an. Bill konnte ihr bei diesem Blick einfach nicht böse sein und nickte zustimmend. Rasch suchte er sich einen Zettel raus und schrieb ihr seine Nummer auf, die sie dankend entgegen nahm.
"Morgen - versprochen!", wisperte sie und lächelte ihn noch einmal an. Mit geröteten Wangen beugte sie sich zu ihm vor und legte sanft ihre Lippen auf seine.
Bill seufzte genüsslich auf. Ja, das fühlte sich irgendwie gut an. Zwar nicht so gut wie bei Mara, aber es war dennoch schön.
Er spürte, wie sein Unterleib noch etwas mehr kribbelte. Gott, er war wirklich von dem Tanzen und dem Kuss erregt. Es war ihm peinlich aber hier in den Menschenmassen würde es hoffentlich keiner bemerken.
"Würdet ihr euch bitte mal die Zungen aus den Hälsen nehmen?!", ertönte es plötzlich mit erboster Stimme. Verwirrt löste Bill sich von seiner Bekanntschaft und musste feststellen, dass tatsächlich Mara vor ihnen stand, mit verschränkten Armen und wütendem Blick.
"Bill, ich muss jetzt wirklich los - wir sehen oder zumindest hören uns morgen, ja?"
Ein letzter, kleiner Kuss auf Bills Wange und ein kurzer, verwirrter Blick zu Mara, dann verschwand Mel zwischen den Leuten und ließ Bill und das brünette Mädchen 'allein'.
"Was ist los?", fragte Bill verwirrt und sah seine Angebetete mit wild klopfendem Herzen an. Er wusste nicht, was das sollte, wieso Mara sauer zu sein schien.
"Erst baggerst du mich Monate lang an, tust auf verliebt, küsst mich heute früh und jetzt machst du hier mit einer anderen rum? Wie billig ist das denn?!", fauchte Mara ihn an. Unwillkürlich zuckte Bill zusammen. Sie war wirklich sauer - aber er würde sich jetzt nicht wieder so behandeln lassen. Er konnte nichts dafür und er hatte nichts Unrechtes getan!
"Zum Einen - ja, aber du weist mich ja ständig ab! Und zum Anderen - nein, DU hast mich heute Morgen geküsst, das ist ein Unterschied!"
"Und du hast es genossen!", knurrte sie sofort zurück.
Bill verschränkte seine Arme und sah ihr in die Augen. Sie funkelten und blitzten regelrecht.
"Was ist dein Problem? Ich habe dir nichts getan und nur versucht den Abend zu genießen! Das hast du auch getan, was willst du mir also vorwerfen?"
"Bill, ich .."
Tom trat an sie beide heran und bedachte erst Mara, dann seinen Bruder mit einem kurzen Blick, ehe er wortlos wieder umdrehte und sich rasch vom Acker machte. Es war sofort ersichtlich gewesen, das dicke Luft herrschte und es besser war, Abstand zu halten.
Bill sah wieder zu Mara, nachdem er kurz seinem Zwilling nachgesehen hatte. Sein Herz zog schmerzhaft in seiner Brust. Er wollte sich nicht mit Mara streiten, er liebte sie doch. Aber seit heute Morgen war sie irgendwie nicht mehr sie selbst.
"Du bist erregt . Du machst hier mit dieser Tussi rum und kriegst gleich einen Ständer. Aber ja, ich bin ja die tolle Mara, die du liebst, der du seit Ewigkeiten hinterher rennst!"
Sie war unfair und das machte Bill wütend. Er ließ sich viel gefallen, besonders von ihr, aber irgendwo waren Grenzen. Das da war nicht seine Mara .
"Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich auch nur ein Mann - ein Mensch bin? Soll ich mich dafür entschuldigen, dass ich mich nach Nähe, Zärtlichkeiten und Berührungen sehne? Soll ich mich wirklich dafür entschuldigen, dass ich so lange auf eine Erwiderung von dir gehofft habe, dass ich jetzt so ausgehungert bin, dass ich von ein bisschen Tanzen und einem Kuss, erregt werde? Ich mag in dich verliebt sein, Mara, aber das gibt dir kein Recht meine Bedürfnisse zu verspotten und mich dafür zu verurteilen, dass ich den Abend genießen wollte! Mir tat es weh zu sehen, wie du dich von diesem Typen hast abschlabbern lassen, wie du mit ihm den Abend genossen hast, aber dennoch verurteile ich dich nicht und habe es dir gegönnt, einen schönen Abend zu haben. Also tu das bei mir bitte auch - und lass es sein auf mir herum zu trampeln, als sei ich ein Stück Dreck! Das bist nicht du! Das ist NICHT die Mara, die heute Morgen geweint hat, weil die kranken Kinder kein Weihnachtsfest kriegen und das ist auch nicht die Mara, die immer so aufrichtig lächelt und freundlich ist!"
Schnaubend stieß Bill die angestaute Luft aus, die sich in seiner Lunge gesammelt hatte. In diesem Moment genoss er Maras aufgelösten Blick, denn er sah, dass es etwas in ihr rührte, etwas in ihr bewegte. Da war sie wieder - seine Mara, nicht die, die ihn den ganzen Tag ignoriert oder schlecht behandelt hatte, als sei er ein einziger Fehler.
"Aber ich . aber das war nicht .!"
"Doch Mara. Es war so, wie ich es gesagt habe und du hast das alles auch so gemeint, wie ich es gerade wiedergegeben habe. Und das ist nicht fair. Du bist nicht so . Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber ich bitte dich . sei wieder du selbst!"
Seufzend schloss sie einen Moment die Augen. Ihr Körper zitterte leicht, sodass er einfach nicht anders konnte und sie fest in eine Umarmung zog. Sofort intensivierte sich das Beben ihres Körpers noch mehr. Erst dachte er, sie würde ihn von sich stoßen, stattdessen krallte sie sich in seine Schultern und begann zu schluchzen.
"Schhhh...!", wisperte er und streichelte ihr liebevoll über den Rücken.
Gott, es tat so unglaublich gut, hier zu stehen und sie in den Armen halten zu können. Er konnte nicht beschreiben, wie sehr sich sein Herz gerade erwärmte und wie viel Glück seinen Körper durchströmte. Seine Mara war wieder da .
Er hielt sie, stand einfach da und spürte, wie das Beben ihres Körpers immer mehr abebbte. Genüsslich hatte er seine Augen geschlossen. Sie hielt sich an ihm fest. Er war gerade ihr Halt, ihr Fels in der Brandung, wie man so schön sagte .
Sanft löste sie sich wieder von ihm, brachte ihn dazu seine Augen wieder zu öffnen und sie anzusehen. Sie schniefte leise und sah auf den Boden.
Sie sah so unglaublich süß und zerbrechlich in diesem Moment aus. Er konnte nicht anders und hob mit zwei sanften Fingern unter ihrem Kinn, ihr Gesicht an. Liebevoll lächelte er sie an und beugte sich wie automatisch vor - und brachte mit einem einzigen, kurzen Kuss voller Liebe, wieder alles zum Zerbrechen...
Zitat des Tages
"Mein Bruder is' ja Spidermen, das wissen viele gar nicht"
Caught on Camera
© Melo & Diana | www.th-wonderland.de
Hier gehts zum Türchen Nummer 12
Das freut mich das dir der Post gefällt ^^ gestr. heisst gestrichen... also einen nicht übervollen Löffel sonder eben glatt gestrichen ;)
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