Dienstag, 13. Dezember 2011

TH-Wonderland Adventskalender Tür 13

Wenn Lebkuchenherzen flüstern...


...geht in die nächste Runde. Ihr seid gespannt, ob sich Bill und Tom noch besser verstehen werden? Dann los..


Wenn Lebkuchenherzen flüstern Teil II






Titel: Wenn Lebkuchenherzen flüstern …
Rating: P12
Genre: Lovestory / Weihnachten
Hauptpersonen: Bill, Tom
Zusammenfassung: Weihnachten, ein Fest, das Bill über alles liebt, obgleich es ihm unweigerlich und schmerzhaft vor Augen führt, dass er doch ziemlich allein ist. Auch Tom, der momentan tagein, tagaus auf dem Weihnachtsmarkt arbeitet, mangelt es eindeutig an Gesellschaft. Bis sie aufeinandertreffen.




Teil II  




„Nichts los heute.“, seufzte der Hopper und stellte sich neben seinen Gast an den Tisch.

„Das blöde Wetter hat den halben Weihnachtsmarkt leer gefegt. Dann ist es so furchtbar langweilig, sage ich dir. Ich bin richtig erleichtert, dass du jetzt da bist, da kann ich mich wenigstens etwas unterhalten. Mit Sabrina ist in Sachen quatschen nicht viel anzufangen. Die hat nur Schminke und Klamotten im Kopf. Ich bemitleide ihren Kerl, der hat ihr auch noch einen Antrag gemacht!“, lachte Tom und trank selbst einen Schluck - selbstverständlich nur eine heiße Schokolade, Glühwein war während der Arbeit tabu für ihn.

Bill zog seine Tasse näher zu sich heran und legte wärmend seine Hände, die total durchgefroren waren, daran.

Okay ... dass es ziemlich stark schneite, hatte er gar nicht richtig registriert. Zu sehr war er in Gedanken gewesen, als er hergekommen war. Ja und ... er wusste jetzt, dass Tom nicht mit diesem Mädchen von seinem Stand zusammen war. Dass es nicht so war, wie es für ihn anfangs ausgesehen hatte.

„Hm ... Aber ich glaube so sind die meisten Mädchen.“

Pustend kühlte Bill sein Getränk auf eine angenehme Temperatur ab und trank nun den ersten Schluck davon.

„Ja, da hast du wohl recht. Zumindest die meisten hübschen Mädchen. Mit Kerlen kann man, zumindest ich, sich besser unterhalten. Ich weiß schon, wieso ich schwul bin.“

Prustend spuckte der 21 Jährige den Glühwein, von dem er eben einen weiteren Schluck genommen hatte, über den Tisch.

„Was?“, krächzte er dann und hatte das Gefühl, dass sein Hals zugeschnürt war.

„Sorry ... Ich hoffe du hast nichts gegen Schwule?! Tut mir leid, wenn ich dich damit jetzt erschreckt oder sogar verschreckt habe...“

Bill war nicht so ganz klar, was er darauf antworten sollte. Sicher war dies der perfekte Augenblick, um zu gestehen, dass es ihm nicht anders ging, doch… in gewisser Weise fürchtete er, damit ihre Freundschaft – falls man es denn bereits so nennen konnte – zu… nun ja, vielleicht nicht zu zerstören, aber… würde es nicht etwas ändern? Was, wenn eine gewisse Erwartungshaltung entstünde?

Doch er musste etwas erwidern. Er musste, sonst zöge Tom definitiv falsche Schlüsse, was schlimmer wäre, als alles andere.

„N… nein. Hab ich… hab ich definitiv nicht. Es ist nur… Ich… ich kann’s echt nachvollziehen, weil… weil…“, er seufzte. Es musste ja irgendwie raus: „Weil es mir genauso geht.“. Schlucken.

Fast ein wenig ängstlich sah er Tom nun an. Dieser wirkte mehr als erleichtert. „Hättest du wohl nicht von mir erwartet, oder?“

Wie wahr, dachte sich Bill. Der Hopper wirkte wie ein typischer Frauenheld. Ein äußerst gutaussehender Kerl, von dem er nie erwartet hätte, dass er sich… nun ja, in Reichweite befand. Zudem bedeutete es, dass er tatsächlich jemanden gefunden hatte, mit dem er offen reden konnte. Jemanden, bei dem er… er selbst sein konnte.

Ein entschuldigendes Lächeln schlich sich auf Bills Lippen. „Stimmt. Hab ich nicht.“ Aber gehofft? Es war diese Frage, die ihn verwirrte. Sicher, Tom war mehr als attraktiv, nur… das bedeutete doch noch nichts weiter. Schließlich kannte er ihn ja gar nicht.

„Irgendwie ulkig … Wir stehen hier und quatschen, obwohl ich arbeiten müsste … dazu sind wir eigentlich einander fremd und ich plauder dir gleich mal aus, dass ich schwul bin, was ich eigentlich nicht oft mache … schlechte Erfahrungen, man denkt bei mir halt nicht, dass ich schwul bin. Und dann erschrecke ich dich, einen Schwulen, auch noch damit, dass ich sage, dass ich schwul bin. Irgendwie verrückt, oder? Also ich empfinds so … Keine Ahnung … Ich weiß nicht mal, wieso ich ausgerechnet dich dann gestern noch zurückgerufen hab und jetzt wieder mit dir hier stehe, aber irgendwie … warst du mir von Anfang an sympathisch!“, grinste Tom breit, sodass Bill unwillkürlich einen Moment an einen Frosch denken musste. Aber nicht im negativen Sinne, sondern eher … im netten …

Gleichzeitig tranken sie einen Schluck ihrer Getränke und sahen einander stumm an. Keiner wusste etwas zu sagen, obwohl sie nun beide wussten, dass sie sich ein wenig ähnlicher waren, als bisher gedacht.

Kurz kaute Bill auf seiner Unterlippe herum, ehe er sich traute doch wieder etwas zu sagen.

„Und … Hast du denn einen Freund? Ich meine nur, weil, dann fänd ich es echt schade, dass du jetzt kurz vor Weihnachten so viel arbeiten musst. Ich meine, das ist die, meiner Meinung nach, schönste Zeit im Jahr. Da durchzurackern, während womöglich zuhause der Freund auf einen wartet … Nicht so prickelnd, die Vorstellung.“

Okay … zugegeben, die Frage war mehr oder weniger ein Vorwand. Eigentlich wollte Bill nur wissen, ob Tom vergeben war, aber irgendwie musste er ja seine Frage auch begründen, um nicht zu auffällig zu sein. Okay, klar, er wollte den Hopper jetzt gewiss nicht angraben, sollte er Single sein, dazu war er zu schüchtern und kannte ihn noch viel zu wenig, aber dennoch … es interessierte ihn halt.

„Nein. Hab ich nicht. Sonst wär ich vermutlich nicht hier.“, daraufhin schwieg er einen Augenblick, ehe er ergänzte: „Also ich stünde nicht hier hinter der Theke. Ich würd vermutlich hier über das Gelände schlendern, so ganz romantisch halt. Aber arbeiten… nee. Zumindest nicht mehr um diese Zeit. Aber… da ich nix Besseres zu tun hab und es nie schaden kann, Geld zu verdienen, ich beschäftigt bin… bin ich hier. Und ich glaube, dass es nicht die schlechteste Idee war.“

Ein glückliches Lächeln huschte binnen Sekunden über Bills Gesicht. Zugeben würde er es nicht, doch diese Antwort stimmte ihn überaus zufrieden. Klar bedeutete das nicht, dass er eine Chance bei Tom hatte, vielleicht war er ja einfach insgesamt nicht sein Typ und sie würden sich „nur“ anfreunden, doch das würde ihm momentan sogar genügen. Sich aus Kummer in eine Beziehung zu stürzen in der Hoffnung, dass alles besser würde, war nie eine gute Idee.

Tom beobachtete Bill aus dem Augenwinkel. Er war nicht auf den Kopf gefallen, ahnte, dass Bill seine Frage unter einem falschen Vorwand gestellt hatte. Nicht, dass es ihn störte. Im Gegenteil, es gefiel ihm durchaus. Diese Schüchternheit war niedlich. Dennoch zögerte er, ehe er seinen Verdacht schließlich laut aussprach: „Ich… ich nehme an, dass du dann wohl Single sein musst. Sonst wärst du doch nicht einen Großteil des Tages allein hier. Oder ist dein Freund verreist, zu seiner Familie gefahren, sodass du dir irgendwie die Zeit vertreiben musst, damit die Sehnsucht dich nicht vollkommen runterzieht?“ Zwar setzte er ein cooles Checkergrinsen aus, innerlich… sah es ein wenig anders aus. Aufgeregt war er. Ziemlich sogar.

Bill nickte. „Richtig. War bei mir jetzt aber auch nicht allzu schwer zu erraten…“. Seine Gedanken rasten. Was bedeutete es, dass Tom ebenfalls nachgehakt hatte?

Gott, jetzt machte er sich schon Hoffnungen und Gedanken, nur weil er gefragt wurde, ob er Single sei. Jetzt wurde er langsam kindisch, musste Bill zugeben. Wie verzweifelt war er, dass er sich jetzt an den erstbesten Typen ranschmeißen wollte?

Okay, das wollte er nicht und … für einen erstbesten wäre Tom schon … recht attraktiv.

Man, was wollte er und was sollte das hier eigentlich werden? So wie das hier lief, sollte er sich rasch klar werden, ob er sich angraben lassen wollte oder nicht.

Wollte er sich angraben lassen? Ehrlich gesagt ja … Wollte er sich zu viele Hoffnungen machen? Nein … denn das konnte durchaus schmerzhaft enden. Am Ende war Tom nur nett und nicht an ihm interessiert. Er wäre garantiert genauso drauf, wenn er hetero wäre …

„Und? Was hast du heute alles gemacht?“, versuchte der Hopper sich an ein wenig Smalltalk. Bill wog seinen Kopf hin und her und überlegte. Er wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, auch wenn es den Kerl eigentlich nichts anging, was er heute alles gemacht hatte.
„Ich hab Wäsche gewaschen und aufgehangen, ein bisschen ferngesehen, Abwasch gemacht, geputzt und … hatte einen Termin auf dem Arbeitsamt. Joah … sowas halt ...“

Tom zögerte mit seiner Antwort. Einerseits würde er Bill gern gut zureden, was das mit dem Arbeitsamt anging, da es ja nahelegte, dass er arbeitslos war, doch… andererseits wollte er ihm nicht zu nahe treten, ihm irgendwie das Gefühl vermitteln, dass er sich über ihm sah. Das tat er nicht, wieso auch? Womöglich ginge es ihm ebenso wie ihm, wenn er seinen Vater nicht hätte. Nein, ein besonders schöner Gedanke war das ja nicht.

Da sein Gegenüber sich bei ihm erkundigt hatte und nun augenscheinlich nicht so recht zu antworten wusste, schob Bill ein „Und du?“ hinterher.

Erst Sekunden später wurde ihm bewusst, dass die Antwort darauf nicht allzu schwer zu erraten war.

„Was wohl?“, Tom kicherte. „Ich hab hier gestanden, bedient… bedient und… bedient. Falls dich mein Highlight des Tages interessiert… du erlebst es grad.“ Er genoss diese Unterhaltung mit jeder Sekunde mehr. Zwar war sein Dauergast heute ein wenig scheu, doch genoss er es, mal wieder ein wenig zu flirten. Wie lange war das letzte Mal wohl her? Fühlte sich an wie Jahre.

Okay, so lange war es gewiss nicht her, er war ja auch erst 23, aber trotzdem … es frischte ihn auf und Bill... gefiel ihm zugegebenermaßen wirklich gut, auch wenn er ihn noch nicht wirklich kannte. Vielleicht konnten sie das ja ändern und sich besser kennenlernen? Wieso nicht seinen Zukünftigen bei der Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt kennenlernen? Okay, so weit wollte Tom noch nicht denken, bisher fand er Bill sowieso lediglich hübsch und interessant, aber wissen konnte man dennoch nie...

Der Jüngere lief ein wenig rot an, als Tom sagte, dass er das Highlight seines Tages war. Das war doch ein Kompliment, oder hatte er das falsch verstanden? Nein, eigentlich konnte man das nicht falsch verstehen …

„Ich … äh … Danke … Ich muss zugeben, dass das hier wohl auch der angenehmste Teil meines Tages ist. Also besser als Arbeitsamt und Haushalt ist es allemal!“

Verlegen grinste Bill sein Gegenüber an und merkte gar nicht, wie er dabei, ebenfalls verlegen, um sich abzulenken, mit einem Löffel in seinem Glühwein herumrührte. Den Löffel hatte er auch noch von Tom gemopst, aber das registrierte er gar nicht.

„Na das denke ich doch auch!“, lachte der Hopper auf und seufzte im nächsten Moment genervt, als seine Kollegin ihn zu sich rief.

„Bin gleich wieder da!“, entschuldigte Tom sich rasch und eilte dann in die Verkaufsbude.

„Kannst du fix mal bei der Maschine gucken? Da muss der Kaffee und das Kakaopulver aufgefüllt werden. Ich hab gerade zu viel zu tun hier!“

Ein leicht vorwurfsvoller Blick traf Tom, was ihn aber nur für einen Moment ein schlechtes Gewissen bekommen ließ. Schließlich fing Sabrina zwei Stunden nach ihm an, hatte aber zur gleichen Zeit Schluss, außerdem machte er sowieso generell das meiste, dann durfte er sich doch abends, die letzten beiden Stunden, doch wohl mal ein bisschen mehr Ruhe gönnen, oder? Das war ja wohl nicht verwerflich, zumal viel zu tun bei der Guten hieß, dass sie drei Kunden hatte … Sie war, zu seinem Leidwesen, nicht sonderlich belastbar, aber Tom hatte sich daran gewöhnt und meckerte schon lange nicht mehr darüber.

Also erledigte er rasch das, worum er gebeten wurde und schlängelte sich dann klammheimlich wieder aus der Bude raus, um seinem Lieblingsgast Gesellschaft zu leisten.

„Ich… ich will dich nicht… also ich will dich nicht ablenken, nicht, dass du meinetwegen Ärger bekommst, weil du deinen Job vernachlässigst, also… du musst das echt nicht…“, stotterte Bill, der sich recht hilflos fühlte.

Tom winkte ab: „Nicht doch. Also… erstens wird das nicht passieren, zweitens hatte ich keine Pause, drittens darf darüber immer noch ich entscheiden, also… mach dir keine Sorgen. Selbst wenn sich Sabrina ärgern würde. Sie ist nicht grad die Fleißigste, schadet ihr nicht, mal was zu tun.“ Er zwinkerte schelmisch.

„O… okay.“

Fasziniert stellte der Hopper fest, wie groß Bills Augen gerade wirkten. Allgemein erinnerte er ihn augenblicklich an einen Welpen, den er einfach nur knuddeln wollte. Doch diesen Gedanken verdrängte er schleunigst. Was ging nur in ihm vor? Irgendwas stimmte da doch nicht. Normalerweise war er nicht so vorschnell, im Gegenteil. Er sehnte sich nach einer ernsthaften Beziehung. Immer, wenn er das getan hatte, ließ er sich unglaublich viel Zeit. Denn so unerschrocken und aufgeschlossen er normalerweise war, er fürchtete, ausgenutzt, reingelegt zu werden. Nicht, dass ihm das bisher passiert war, doch er hatte gesehen, was es mit anderen anstellen konnte. Hatte gesehen, wie viel Kummer es ihnen bereitet hatte. Und deswegen hatte er Angst. So dumm ihm das selbst auch schien, er konnte es nicht leugnen.

Nur weil Bill absolut ungefährlich erschien, musste er das nicht…

„Tohooom“ Musste das denn sein? Was wollte Sabrina denn nun schon wieder? Konnte sie denn gar nichts allein? Und musste sie immer dann stören, wenn es am ungünstigsten war? Besaß sie einen sechsten Sinn dafür, sodass es ihr immer möglich war, den am wenigsten passenden Moment abzupassen?

Überaus genervt rief er zurück: „Komm ja schon!“, bedeutete Bill jedoch, ihn zu begleiten.

Zögerlich folgte der 21 Jährige dem Älteren. Bevor er die Bude betrat, hielt er noch einmal kurz inne und sah unsicher Toms Kollegin an.

„Jetzt komm schon!“, lachte der Hopper und winkte den Schwarzhaarigen zu sich.

Tief atmete Bill durch, nickte und trat dann tatsächlich in den Stand ein. Neugierig, aber noch immer zögerlich, sah er sich um und blinzelte die hübsche Frau an, die ihn stirnrunzelnd betrachtete.

„Bill.“, wisperte er seinen Namen und bekam nur ein Augenbrauenlüpfen als Antwort.

„Tom, was ...“

„Er ist ein Freund von mir, er darf hier rein!“

Was? Tom hatte ihn gerade als Freund betitelt! War das wahr? Waren sie Freunde? Aber sie kannten sich doch erst seit gestern und hatten sich bisher insgesamt nur wenige Stunden, wenn überhaupt, unterhalten ... Konnte man sich da schon als Freunde bezeichnen? Sie kannten sich doch kaum.

Seufzend wandte Sabrina sich einem Kunden zu und bediente ihn.

„Kannst du bitte Glühwein anmischen? Er ist fast leer und ich muss den Süßkram auffüllen.“

Tom nickte und winkte abermals seinen Gast zu sich, der nur mit seinem Glühwein in den Händen etwas verloren dastand und anscheinend nicht viel mit sich anzufangen wusste.

Rasch füllte Tom in den großen Topf mit dem Zapfhahn einige Liter des Weines ein.

„Weißt du, wir verkaufen hier nicht fertigen Glühwein, wie es die meisten machen. Also ... man kann sagen, dass hier 90 Prozent der Buden fertiggekauften Glühwein verkaufen. Die schütten das Zeug einfach in einen Topf, machen die Brühe warm und gut ist. Aber wir machen den Glühwein selbst, deswegen sind wir auch recht gut besucht hier. Magst du mir helfen?“, hakte der Hopper nach und lächelte Bill freundlich an. Neugierig und eifrig nickte dieser. Er wollte gerne etwas helfen und sich somit erkenntlich zeigen. Egal für was ...

„Cool, gut dann ... bring mir mal die Sachen her, die dort in dem Regalfach liegen!“

Deutlich zeigte der Hopper auf ein paar Zutaten, die Bill ihm auch sogleich brachte und sich dann von dem Älteren erklären ließ, wie er das heiße Getränk herstellte.

„Eigentlich ist es ganz einfach, Glühwein zu machen. Als erstes kommt Rotwein rein, was ich gerade schon gemacht habe. Und dann kommt noch etwas Kardamom dazu, Nelken, ein paar Stangen Zimt - ich darf dir das Rezept nicht verraten, deswegen halte ich das jetzt mal oberflächlich - ein bisschen brauner Zucker und Orangenschalen. Das muss ein paar Minuten miteinander köcheln. Dann kommen die Zimtstangen und Nelken und was halt noch so übrigbleibt, wieder raus – und dann kann der Glühwein verkauft werden! Wenn die Kunden Extrawünsche haben, wie zum Beispiel den Glühwein mit Rum möchten, dann kommt davon noch ein Schuss rein, wenn der Glühwein ausgeschenkt ist!“

Bill nickte. Aufmerksam hatte er zugehört und alles in sich aufgesogen wie ein Schwamm. Gut, Tom hätte ihm vermutlich sonstwas erzählen können und er hätte noch immer lächelnd dagestanden und einfach nur genickt, wäre vollkommen zufrieden gewesen. All das nur dank dieses einen Wortes: Freund. Viele hatte Bill nie gehabt – nicht, dass er eine ganze Schar oberflächliche Kontakte wenigen guten Freunden vorzog – deswegen rührte ihn das Ganze umso mehr. Es war wie ein Weihnachtsgeschenk. Obwohl sie einander erst seit kurzem kannten.

Tom schwieg, als er begann, die Zutaten zusammenzufügen. Doch das störte Bill gar nicht weiter. Er hatte gar nicht gewusst, dass der Glühwein, den er tagtäglich getrunken hatte, so besonders war, dass so viel Arbeit darin steckte. Fasziniert warf er einen kurzen Blick Richtung seines Getränks. Wenn er so drüber nachdachte, schmeckte es immer besser.

Aufmerksam verfolgte er jede einzelne Bewegung, jeden Handgriff des Hoppers. Vergleichsmöglichkeiten hatte er ja nicht, doch er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass Tom mochte, was er tat. In gewisser Weise beneidete er ihn darum. Wenn er nur auch einen Job haben könnte. Einen, der ihm wirklich lag, ihm wirklich gefiel. Nicht schon wieder einen von diesen schrecklichen Aushilfsjobs, mit welchen man sich kaum über Wasser halten konnte, die furchtbar langweilig waren und noch dazu deprimierend, weil man sich ständig irgendwelches Gemotze anhören musste. Das konnte man zwar ignorieren, aber wenn man ahnte, dass man seine Stelle bald wieder los war, da man nur Ersatz war, dann… dann genügten solche Kleinigkeiten, um einen richtig runterzuziehen.

Nachdem alles im Topf war, stellte Tom diesen auf den Herd, drehte ihn auf und lehnte sich zurück. „Findest du das wirklich so interessant? Brauchst nicht aus Höflichkeit so zu tun, wenn’s nicht zutrifft, ich mag dich nicht langweilen, also… beschwer dich ruhig, ich beiße ja nicht. Und mit Kritik kann ich umgehen, denk ich zumindest.“

Da sein Gegenüber nur schüchtern lächelte, ehe er wisperte: „Nein, es interessiert mich wirklich“, fuhr Tom fort. „Jedenfalls steckt in unserem Rezept jede Menge Liebe. Und ich finde, dass unser Glühwein wesentlich besser schmeckt, als der der meisten anderen. Ich… ich find’s schrecklich, wenn manche Fertigzeugs verkaufen. Das ist nicht Sinn der Sache, das kann man sich auch im Supermarkt kaufen. Und weihnachtlich ist das bei all den künstlichen Aromen auch nicht.“, er seufzte.

Bill nickte ihm zustimmend zu.

„Ja, da hast du recht! Und euer Glühwein schmeckt wirklich gut, besser als die anderen! Und günstig ist er dennoch, das find ich ... gut.“

Ein verlegenes Lächeln huschte dem 21 Jährigen über die Lippen, sodass er auch nicht verhindern konnte, dass seine Wangen in ein sanftes Rot tauchten.

Sofort wurde Toms Blick eine Spur weicher. Der Kleine war wirklich süß ...

„Naja, zum Glück, hm? Sonst hätten wir uns nicht kennen gelernt!“

Okay ... jetzt konnte Bill sich wirklich nicht mehr beherrschen. Sein Gesicht färbte sich noch eine Spur dunkler vor Verlegenheit. Was das eine Anmache gewesen, ein einfaches Kompliment oder war es einfach nur so gemeint, dass Tom sich freute, ihn kennen gelernt zu haben, weil er in ihm einen neuen Kumpel sah? Er hatte ja vorhin schon Freund gesagt, auch wenn Bill noch immer nicht begriff, wie er das jetzt schon sagen konnte, immerhin kannten sie sich erst seit gestern Abend, wussten nicht viel von einander und hatten sich erst ein paar Stunden unterhalten. Sie hatten weder Nummern getauscht, noch wusste man irgendwas aus dem Leben des anderen, als dass sie sich Freunde schimpfen konnten. Bill begriff nicht so richtig, was das hier alles war ...

„Brauchst doch nicht verlegen werden, ich hab doch nur die Wahrheit gesagt! Ich finde dich echt nett und ich freue mich, dass wir uns kennengelernt haben! Du etwa nicht?“

Mit einem schüchternen Blick sah Bill sein Gegenüber an und kam sich gerade nicht wie 21 vor. Viel mehr führte er sich auf die ein 14 jähriges Mädchen, das sich betört fühlte, weil ihr ein Junge zugezwinkert hat.

„Doch ... natürlich!“

Tief durchatmend klopfte Tom seinem Gast auf die Schulter und zog ihn dann ein paar Schritte nach hinten. Der Stand war groß, sodass sie eine Menge Platz hinter dem Tresen hatten und sich durchaus auch hier hinsetzen konnten. Hier war es wärmer und hier konnte er schneller springen, wenn Sabrina mal wieder ach so viel zu tun hatte und seine Hilfe brauchte. Und da er Bill nun schon hinter den Tresen geschleppt hatte, konnten sie auch gleich hier bleiben.

„Na komm, jetzt bleiben wir hier. Hier ist‘s sowieso gemütlicher und wärmer und so.“

Mit einem Lächeln drückte der Hopper den Jüngeren auf einen der beiden Stühle, die rechts und links neben einem kleinen Tisch standen. Es war sozusagen die Ausruhstelle von Tom und Sabrina, aber der Markt war eh nur noch eine Stunde geöffnet und eh sie sich draußen den Arsch abfroren ..

„Also ... jetzt erzähle doch mal ein bisschen was von dir, Bill!“

Der Angesprochene räusperte sich. Er war nicht gewohnt, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen und wusste so gar nicht, was er von sich berichten sollte, ohne sich in irgendeiner Weise zu blamieren oder Toms Meinung von ihm sonstwie zu revidieren.

„Ich… also ehrlich gesagt, weiß ich nicht recht, wo ich anfangen soll. Ich bin ziemlich langweilig, das... das interessiert dich bestimmt nicht.“, stammelte er.

Als Antwort erhielt er ein Kopfschütteln. „Ganz bestimmt würde ich nicht fragen, wenn es mich nicht interessieren würde. Das tut es nämlich. Sonst hätt ich doch nichts gesagt, sondern den Mund gehalten. Außerdem war das, was ich dir von mir erzählt habe, auch nicht allzu interessant, zumindest aus meiner Sicht, dir ging’s da ja wohl anders. Außerdem muss man auch mal Risiken eingehen.“, meinte Tom aufmunternd.

Mit einem Seufzer gab Bill sich geschlagen: „Aber behaupte dann nicht, ich hätt’s dir nicht gesagt. Naja. Was gibt’s über mich zu berichten? Ich… ich hab keinen Job, was ich gern ändern würde, doch es klappt und klappt einfach nicht, ich bekomme immer nur Aushilfsjobs, die definitiv nicht das Wahre sind. Und dann steh ich wieder da. Momentan hab ich’s aufgegeben, weil ich einfach mal eine Pause brauche, so dumm das auch klingen mag, wo doch einige denken, dass Arbeitslose den ganzen Tag Pause haben und machen. Es ist nur einfach anstrengender, als man denken würde, wenn man lauter Bewerbungen schreibt für nichts und wieder nichts. Das zehrt ziemlich an den Nerven und in der Weihnachtszeit will ich das einfach nicht. Ich will sie einfach genießen, so, wie ich sie genossen habe, als ich noch ein Kind war. Das ist der Grund, aus dem ich hergekommen bin. Wenn ich hier bin, fühle ich mich nicht mehr so allein und… okay, das mag jetzt verblendet und kitschig klingen, aber… einen Moment lang wirkt die Welt einfach ein bisschen schöner. Weniger deprimierend.“

Verlegen grinste er. Verfiel in Schweigen, gespannt, was Tom zu seinen Ausführungen zu sagen hätte. Er hatte wirklich Angst, dass dieser ihn für faul halten könnte. Das Gegenteil war der Fall, der Hopper war ziemlich beeindruckt von dieser Beichte. In seinen Augen war sie mutig gewesen, was Bill in seiner Achtung nur noch weiter steigen ließ.

„Ich find’s nicht verblendet. Absolut nicht. Denn ich glaube, dass Weihnachtsmärkte dafür da sind, den Geist der Weihnacht zum Leben zu erwecken. Was du grad… was du grad gesagt hast, das klingt, als würde es gelingen. Und das ist einer der Gründe, aus denen ich so gern hier bin.“, Tom lächelte. Es war ein warmes Lächeln, eines, das Bill überaus gut gefiel. Es war wirklich ein glücklicher Zufall gewesen, als er ausgerechnet Toms Stand zu seinem Stammplatz auserkoren hatte.

Aber eben genau da war der Preis gut, der Glühwein schmeckte hervorragend, die Lage war blendend und die Bedienung ... einfach nur sympathisch.

„Ich finds echt nett, dass du so freundlich zu mir bist und gestern den Glühwein ausgegeben hast. Und jetzt lässt du mich auch noch hier mit hinter die Theke, wo es noch wärmer ist und die Dekoration auch so schön romantisch. Ich komme mir fast vor wie bei einem Date!“

Ehe Bill realisierte, was er da sagte, waren die Worte schon über seine Lippen gerutscht. Augenblicklich färbten sich seine Wangen dunkelrot. Er hatte das Gefühl, als bekäme er von einer auf die andere Sekunde Fieber.

„ Ich ... also nicht ... also nicht, dass du jetzt denkst, ich denke du machst mich an, oder so ... Also ... nicht falsch verstehen... ich meine nur ... Weil es halt so romantisch und schön hier und ist und du so freundlich bist. Also bitte ...“

„Schon okay!“, lachte Tom freundlich und schüttelte amüsiert den Kopf. „Ich habs schon nicht falsch verstanden, keine Sorge! Außerdem darf man zur Weihnachtszeit doch ein bisschen flirten, oder? Die Dekorationen und alles laden doch förmlich dazu ein!“

Bill fiel alles aus dem Gesicht. Er hatte nicht im geringsten eine Ahnung, was er darauf sagen sollte. Er wollte heulen und lachen zugleich und zitterte ein wenig vor Aufregung. Sein Herz pochte wie wild in seiner Brust.

War das jetzt wieder nur ein kecker Scherz gewesen oder tatsächlich eine kleine Anmache? Das Dumme war ... Ein Teil von Tom Aussage war als Frage formuliert, weshalb der Ältere nun vermutlich eine Antwort darauf erwartete ... Aber Bill wusste nicht, wie diese aussehen sollte, damit er das hier in keinster Art und Weise irgendwie versaute.

„Nun ja ... Also wenn man so ... die Leute beobachtet, dann ... kann man das bestimmt.“, wisperte er letztendlich verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, um seine Aufmerksamkeit nicht vollstens auf den Hopper zu fokussieren.

Hastig nahm er seine Hand wieder weg und führte sie stattdessen an die Tasse, worin der noch immer warme Glühwein ruhte und ein wenig hin und her schwappte, als er sie anhob und an seine Lippen führte. Auch Tom trank nun wieder einen Schluck seiner heißen Schokolade, das Grinsen, das dabei seine Lippen zierte, zeigte Bill allerdings nur zu deutlich, dass er sich wohl ein wenig unbeholfen anstellte. Das hier schien wirklich flirten zu sein und nicht nur dumme Witze...

Tom lachte in sich hinein. Das hier war zu gut. Er hätte Bill direkt knuddeln können, doch hätte er diese Fantasie wirklich in die Tat umgesetzt… er war gar nicht in der Lage, sich auszumalen, was dann geschehen wäre. Ob er dann wie ein verschrecktes Kaninchen mit weit aufgerissenen Augen davongestürmt wäre? Verwundert hätte es ihn nicht, doch so richtig vorzustellen wusste er sich das nicht. Was er wusste, war, dass er ihn gern noch näher kennenlernen wollte. Nur wie sollte er das anstellen? Vorsichtig würde er sein müssen, schlechte Erfahrungen schienen sein Gegenüber scheu gemacht zu haben. Der Arme.

Schweigen. Keiner wusste so recht, was er noch sagen sollte, beide fürchteten, einen Fehler zu machen, wobei sie vergaßen, dass nichts zu sagen schlimmere Auswirkungen haben konnte, als etwas Dummes von sich zu geben.

Beinahe schon erleichtert atmeten beide auf, als ein Kunde auftauchte und Tom den soeben fertiggewordenen Glühwein an den Mann – oder in diesem Falle an die Frau – bringen konnte. So waren sie – wenn auch nur für einen Augenblick – abgelenkt.

Lange hielt diese Ablenkung jedoch nicht an, woraufhin wieder Stille herrschte.

Tom hätte sich ohrfeigen können. Er hatte es falsch angepackt. Mal wieder. Hatte Bill verschreckt. Bestimmt wollte er nichts von ihm. Und jetzt hatte er versucht, mit ihm zu flirten. Was, wenn Bill deswegen nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte? Er war so ein Vollidiot.

„Es… es tut mir leid.“, raunte er verlegen.

„Das… das braucht es nicht. Echt nicht.“

„Ich hab aber das Gefühl, dass es das sollte. Ich wollte dir keinen Schrecken einjagen, es… war nur… ein Impuls, verstehst du? Ich konnt’s einfach nicht zurückhalten.“

„Ist doch nicht weiter schlimm. Ehrlich nicht. Es ist nur… ich weiß nicht, ich… irgendwie macht’s mir einfach Angst. Bin einfach nicht so gut in solchen Dingen und… Es geschieht nicht oft, dass ich Leute treffe, die mich nett finden.“

„So schlecht bist du in so etwas gar nicht, vertrau mir.“, Tom zwinkerte ihm aufmunternd zu.

„Reden wir gerade von der gleichen Sache?“

Abermals färbten sich die Wangen des 21 Jährigen ein wenig dunkler. Immerhin fror er nun noch weniger, bei der Durchblutung seines Gesichts...

„Ich denke mal schon... Also ich rede von meinem dummen Gelabere von wegen Flirten.“, grinste der Hopper schief und versuchte sich damit abzulenken, noch einmal einen Schluck seines warmen Getränks zu nehmen. Allerdings spuckte er im nächsten Moment eben dieses beinah in das Gesicht seines Gegenübers...

„Aber ich flirte doch gar nicht mit dir?!“

Es schmerzte, als die heiße Schokolade in Toms Speiseröhre hinunter rann. Aber ehe er Bill noch ganz vergraulte, indem er ihn anspuckte, nahm er das Brennen in seiner Kehle gerne in Kauf.

„Tut mir leid ...'', entschuldigte er sich also wieder – er war wirklich enttäuscht, denn er hatte eigentlich angenommen, dass das Flirten auf Gegenseitigkeit beruhte, aber offensichtlich hatte er sich das Interesse seitens Bill nur eingebildet.

„Wieso entschuldigst du dich schon wieder? Ich sagte doch eben: Ich kann das nicht. Bin einfach zu blöd dafür, deswegen lasse ich es gleich sein ...“

„Aber wie willst du denn dann mal einen Freund bekommen? Also ... ich mag mich nicht einmischen oder so, ist ja dein Ding, aber ... du musst doch irgendwie jemandem, den du magst, Signale senden...“

Interessiert starrte Tom den Jüngeren regelrecht an. Aufgeregt klopfte sein Herz, in der Hoffnung, dass der andere doch ein wenig Interesse hatte. Er wusste zwar nicht genau, wieso das bei ihm auf einmal so ausgeprägt war, aber von Minute zu Minute faszinierte Bill ihn immer mehr. Er zog richtig seine Aufmerksamkeit auf sich. Es passte einfach. Irgendwie ...

„Naja ... ich hoffe einfach, dass der andere hartnäckig genug ist, bis ich mich dann doch mal traue ... oder bis der andere einen Schritt weiter geht ... mich regelrecht einengt und ich dann halt mehr oder minder keine andere Wahl hab, als darauf einzugehen.“

Mit einem weinerlichen Lächeln sah Bill den 23 Jährigen an. Er kam sich gerade vor wie ein kleines Kind und er hatte keine Ahnung, wieso er Tom das alles überhaupt erzählte, immerhin ging es ihn nichts an und Bill was es ja auch peinlich – sein eigenes Verhalten. Aber es platzte einfach aus ihm heraus, als würde er sich entschuldigen wollen, als sei er Tom eine Erklärung schuldig, obwohl er genau wusste, dass das nicht der Fall war.

„Du weißt, dass das ziemlich schiefgehen kann? Ich kann mich irren, doch… ehrlich gesagt denke ich, dass die meisten recht schnell entmutigt werden und aufgeben würden, ehe sie sich in etwas reinsteigern und du ihre Gefühle dann nicht erwiderst. Was vielleicht gar nicht stimmt, sie aber nicht wissen können. Okay, ich sollte nicht den Therapeuten raushängen lassen, sondern stattdessen lieber an mir selbst arbeiten. Da gibt’s genug zu tun. Jedenfalls… ich hoffe, du verstehst das nicht falsch, ist echt nur gut gemeint.“

Bill hob seinen Blick für einen Moment, ehe er wieder auf seine Finger starrte. Nach einiger Zeit nickte er. Kaum zu hören war seine schöne Stimme, als er wisperte: „Ich… ich weiß. Klar, Selbsterkenntnis ist angeblich der erste Schritt zur Besserung, aber… ich… ich schaff’s einfach nicht. Ich will mich doch ändern, aber je mehr ich das versuche, desto mehr werde ich in meiner Ansicht bestärkt, es nicht zu tun. Denn wenn ich versuche, offener zu sein, werde ich nur verkrampft und mache mich lächerlich. Oder… ich falle eben richtig aufs Maul, um es jetzt mal hart auszudrücken. Ich schätze, davon sollte ich mich nicht so stark beeinflussen lassen, weil ich das, was meine Klamotten und solche Dinge angeht, auch nie getan habe, aber… irgendwie ist es einfach was anderes.“

Nur zu gut verstand Tom. Dennoch. Er wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Wie sollte er denn jemals wissen, ob dieser Mensch, der ihn so sehr in seinen Bann zog, Interesse an ihm hatte? Ob er es wagen konnte, ihn um ein Date zu bitten? So dumm es auch klang, wenn Bill nichts von ihm wollte, dann wäre er lieber mit ihm befreundet, als gar nicht bei ihm sein zu können.

Was hatte er nur, das Tom so sehr anzog?

10.12.2011
Am nächsten Abend war Tom ganz hibbelig. Würde Bill kommen, oder hatte er ihn gestern zu sehr verschreckt, war ihm zu nahe getreten? Wirklich sicher war er sich nicht, denn eigentlich hatte Bill gegen Ende des Abends nicht den Eindruck gemacht, als könne er ihn nicht leiden oder als wäre ihm seine Gegenwart unangenehm. Doch immer wieder hatte er entschuldigend dreingeblickt. Weswegen nur? Aus dem Grund, aus dem er hoffte, dass es der Fall war?


Kaum gelang es ihm, sich zu konzentrieren. Noch nie wurde er von Sabrina ermahnt, heute hatte er nur dank ihrer Hilfe den Glühwein nicht versaut. Was war nur los mit ihm?

Ihn hatte wohl auch der Weihnachtszauber erwischt - und die Hoffnung ... auch wenn er Bill eigentlich gar nicht kannte. Dennoch hatte er ein wenig Angst, dass der heute nicht kommen würde. Gestern war es das erste Mal gewesen, dass Bill erst spät kam - die anderen Tage war er immer schon am Vormittag da gewesen. Hatte er ihn endgültig vergrault oder hatte er heute nur wieder etwas zu tun?

„Tom, der Kunde redet mit dir!“, seufzte Sabrina ein wenig genervt auf. Eigentlich traute sie es sich kaum, so mit ihm zu reden - wie sie es schon den ganzen Tag tat, immerhin war er der Sohn ihres Chefs, aber so langsam war auch ihre Geduld am Ende.

„Einen Glühwein bitte!“, kam es ein wenig eingeschüchtert, was den Hopper nun doch ganz aus seinen Gedanken riss. Sabrina hatte es nur halb geschafft, aber der junge Mann vor ihm holte ihn ins Hier und Jetzt.

„Bekomme ich heute keinen?“ Nervös schabte Bill mit seinem Schuh auf dem Boden herum und sah ebenso die Kollegin des 23 Jährigen an.

„Was? Doch! Doch, natürlich! Komm doch ... rein...“

Hastig ging der Ältere zur Tür und öffnete diese, damit sein Gast eintreten konnte, was Bill auch – wie schon am Vortag – zögerlich tat.

„Wieso bist du denn jetzt erst da?“, kam es fast schon vorwurfsvoll von Tom. Im nächsten Moment allerdings blickte er Bill entschuldigend an. Es hatte anders geklungen als es sollte.

Bills Wangen tauchten wieder mal in ein dunkles Rot. Er hatte es nicht falsch aufgefasst, nahm es eher als Kompliment, dass Tom offensichtlich etwas enttäuscht war, dass er erst jetzt kam.

„Ich hatte gestern vom Arbeitsamt ein paar Adressen bekommen, wo ich mich heute beworben habe. Aber ich mach mir keine Hoffnungen ... Alle wollen Realschulabschluss oder wenigstens einen Hauptschulabschluss, aber ich hab ja nicht mal den ...“

Diese Aussage verwirrte Tom. Wobei. So richtig traf es das nicht. Verwirrt fühlte er sich eigentlich gar nicht, eher deprimiert. Denn obwohl man meinen sollte, er könnte solche Urteile nach dieser kurzen Zeit nicht fällen, war ihm bewusst, dass Bill keineswegs aufgrund mangelnder Intelligenz gescheitert war. Das konnte er einfach nicht glauben.

Nun wusste er nicht, was zu entgegnen. Wenn er schwieg, nähme Bill garantiert an, er hätte eine schlechte Meinung von ihm, empfände die Tatsache, dass er keinen Abschluss hatte, als asozial. Was er doch absolut nicht tat. Es stimmte ihn jedoch traurig, da er der Ansicht war, dass Bill etwas Besseres verdiente. Nur… Trösten, das… wirkte ihm auch nicht wie das Richtige.

Also beschloss er – so dumm es auch enden konnte – über diese Aussage hinwegzugehen, als habe er sie nicht gehört. Denn ganz gleich, wie er auf diese Äußerung reagierte, keine bot die Garantie, die gewünschte Wirkung zu erzielen. Im Prinzip konnte er nur verlieren. Wobei noch immer die Möglichkeit bestand, dass er, wenn er das einsah, glimpflich davon kam. „Lief es denn ansonsten gut? Ich denke nämlich, dass du die Flinte nicht schon ins Korn werfen solltest, ehe du eine Absage bekommen hast. Sicher, du hast – wie du mir erzählt hast – schon viele Niederlagen hinter dir, aber das bedeutet doch nicht, dass du ein hoffnungsloser Fall bist. Das darfst du nicht glauben.“

„Du hast leicht reden.“, erklang es beinahe weinerlich.

„Vermutlich. Aber ich will einfach nicht, dass du dich selbst so runtermachst. Das tut anderen, die dich nett finden, wirklich weh. Bitte, hör auf damit. Das verdienst du einfach nicht.“, Toms Stimme brach.

Bill hob den Kopf, seine Augen waren weit aufgerissen, als er fragte: „Findest du das wirklich oder… sagst du das nur, weil es Weihnachten ist und du nett zu mir sein willst?“ Ihm war durchaus klar, wie das klingen konnte, wie es für jeden klingen MUSSTE, doch diese Frage hatte ihm so auf der Zunge gebrannt, dass er sie nicht hatte herunterschlucken können.

Mit empörtem Blick und einem eben solchen Schnauben drückte Tom seinen Gast auf den Stuhl an dem Tisch, an dem sie gestern Abend schon gesessen hatten. Hier gab es nicht nur den Vorteil, dass es wärmer war, nein, hier drin hatten sie wenigstens die Möglichkeit zu sitzen – draußen hatten sie nur Stehtische, da die meisten ja eh nur kurz auf einen kleinen Snack oder Drink blieben. Davon abgesehen war auf den Gängen voller Leuten eh kein Platz für Stühle. Selbst die Stehtische waren schon mehr oder minder im Weg.

Bill sah in geduckter Haltung dem Älteren hinterher, beobachtete ihn, wie er am Tresen stand und Glühwein einschenkte, während der 21 Jährige wie bestellt und nicht abgeholt auf seinem Stuhl saß und brav wartete.

„Ich finde das echt … Wieso meinst du, ich sei nur freundlich, weil Weihnachtszeit ist? Ist es verboten, nett zu dir zu sein? Kann man dich nicht mögen? Also ich mag dich und ich bin gerne nett zu dir – eben weil ich dich mag! Also … bitte hör auf, so einen Scheiß zu labern. Das tut weh …“

Angesäuert und beleidigt verschränkte Tom seine Arme, nachdem er eine dampfende Tasse vor den Jüngeren gestellt und sich in den anderen Stuhl hatte fallen lassen. Sabrina beäugte ihren Kollegen derweil skeptisch von der Seite. So hatte sie Tom wirklich noch nicht erlebt. Nicht dass er jetzt in eine bestimmte Richtung ganz anders war. Aber er schien dennoch irgendwie wie ausgewechselt und sprang von einer Laune zur anderen.

Kopfschüttelnd schmunzelte sie. Wahrscheinlich sollte er nicht so viel Glühwein schnüffeln, das tat ihm definitiv nicht gut!

„Tut mir leid.“, wisperte Bill und bekam schon wieder ein Seufzen zu hören.

„Kannst du mal aufhören, dich ständig zu entschuldigen? Oder war ich das gestern, der sich ständig entschuldigt hat? … Ach keine Ahnung … Siehst du? Du machst mich vollkommen wuschig, ich dreh noch durch!“

Nervös stand Tom auf und ging immer wieder auf und ab. Er hatte gerade keine Ahnung, was mit ihm los war, aber irgendwie war er gerade auf 180 und hätte gleichzeitig vor Freude anfangen können zu heulen.

Verstehe einer mal die Männer – er fühlte sich gerade wie ein Weib, das seine Tage hatte und nicht wusste wohin mit ihren überschäumenden Emotionen.

Er kannte ihn doch kaum, verdammt!

Beschämt starrte Bill auf seine Fingernägel. Er hatte es doch gewusst. Früher oder später trieb er jeden zur Weißglut. Früher oder später ging er jedem auf die Nerven. Früher oder später konnte jeder ihn nicht mehr leiden. Früher oder später versaute er immer alles. Womit hatte er das nur verdient? Es war doch nie seine Absicht gewesen, nie. Im Gegenteil, Tom war in den wenigen gemeinsamen Stunden eine Bezugsperson für ihn geworden, jemand, dem er in gewisser Weise – obgleich er den Grund nicht in Worte zu fassen vermochte – vertraute. Fast hatte er zu hoffen gewagt, es könne endlich mal ein Happy End für ihn geben. Und all das war vergeblich gewesen. Nur weil er so ein Volltrottel war.
Eine Träne verließ seinen Augenwinkel, rollte schrecklich langsam seine Wange hinab. Warum nur konnte er nicht aus seiner Haut? Warum gelang es ihm nicht, sich so zu ändern, dass er liebenswert war? War etwas falsch daran, geliebt werden zu wollen? Er verstand es nicht.

Als Tom es bemerkte, hätte er sich beinahe dazu hinreißen lassen, es dem jungen Mann, der ihm so – er scheute sich davor, es sich einzugestehen, doch irgendwann musste er es ja tun, es war zu offensichtlich – den Kopf verdreht hatte, gleichzutun. Kaum etwas wünschte er sich sehnlicher, als dass er ihm helfen könnte, sich selbst zu akzeptieren, sich selbst zu mögen, doch… wie? Psychologisches Wissen besaß er nicht und auch hatte er bereits kundgetan, dass ER mit Bills Selbstverachtung nicht einverstanden war, da er nicht fand, dass diese verdient war. Was denn noch?

„Ich hab’s gewusst.“, war alles, das Bill noch von sich gab, ehe er sich daranmachte, sich zu erheben, um zu verschwinden. Er ertrug das nicht. Die Enttäuschung, den Ärger, den er in Toms Zügen zu erblicken erwartete.

Was er nicht erwartet hatte, war, dass der Hopper ihn an seinem Vorhaben hindern würde. Fest war der Griff von Toms Hand. Nicht so fest, dass es wehtat, doch fest genug, dass Bill sich nicht herauswinden konnte.

Und ... so stark der Drang auch war, es mit noch mehr Kraft zu versuchen, war der Drang zu bleiben mindestens ebenso groß.

Nach stummen Ziehen an seinem Arm und verzweifeltem Knurren ließ er es letztendlich bleiben, stand still da, den Rücken zu dem Hopper gewandt, das Handgelenk noch immer von der warmen Hand des Älteren umschlossen.

Stumm beobachtete Sabrina die beiden jungen Männer wieder. Irgendwie wurde das langsam spannend - sie wusste um Toms sexuelle Neigung und reimte sich allmählich alles zusammen. Schade, dass sie das 'Schauspiel' nicht bis zum Schluss verfolgen können würde, denn die zwei weiteren Angestellten von Toms Vater, Gustav und Georg, würden morgen mit ihr den Arbeitsplatz tauschen, da ihr Arbeitsweg zum Laden einfach besser war als zum Weihnachtsmarkt und für die Jungs galt das exakte Gegenteil. Die beiden würden sich immer abwechseln, da sie eh nur Halbtagsstellen hatten und so würde immer jeder 6 Stunden am Tag arbeiten, bei Bedarf auch mal die erste Schicht verlängert.

„Du hast mich falsch verstanden.“, seufzte Tom nach einigem Anschweigen, als die Stille unangenehm wurde.

„Ach ja?“, fragte Bill leise, kaum hörbar, mit brüchiger Stimme. Es wurmte ihn, hier so als Weichei dazustehen, denn eigentlich war er das nicht, aber gerade war er einfach zu enttäuscht.

„Ja. Denn dass du mich wuschig machst und durcheinander bringst, war ... positiv gemeint. Ich mag dich Bill. Ich hab dich echt lieb gewonnen in den letzten Tagen, in denen wir uns ein bisschen kennen gelernt haben. Also bitte ... setz dich wieder, trink den Glühwein und leiste mir ein wenig Gesellschaft, ja? Ich würde mich wirklich freuen ...“

Bill schluckte. Wollte Tom damit etwa andeuten, dass… falls ja, dann… ja, was dann? Wäre er glücklich darüber? Würde es ihn überfordern? Hätte er Angst? Ginge es ihm alles zu schnell? Ja. Vielleicht. Definitiv. Irgendwie nicht. Sein Verdacht stellte ihn allerdings vor zwei Probleme.

Erstens: Was sollte er tun? Schließlich machte er in der Liebe – so urteilte zumindest er – immer alles falsch. Welchen Grund sollte es sonst dafür geben, dass sämtliche seiner wenigen Beziehungen grausam gescheitert waren? Irgendwie musste das doch mit ihm zusammenhängen. Die Möglichkeit, dass er sich bisher einfach immer die Falschen ausgesucht hatte, sah er nicht.

Zweitens: Sollte er aus sich herausgehen? Denn Tom hatte anklingen lassen, dass es eine miserable Taktik war, auf ein Signal des anderen zu warten. Nur brachte er dazu den Mut auf? Konnte er das? Und wenn ihm dies gelang, was dann?

Ohne zu einer Lösung gelangt zu sein, tat der Schwarzhaarige wie geheißen. Mit seinen großen, kajalumrandeten Augen sah er ihn an. „Ich… es…“, begann er, ehe ihm bewusst wurde, was er da gerade beinahe gesagt hätte. Es handelte sich um die Worte „Es tut mir leid“, welche den Hopper vorhin so erzürnt hatten. Dementsprechend sollte Bill diese wohl besser vermeiden. Stattdessen fuhr er fort: „Ich bin wohl… ein bisschen überempfindlich, weil… ach, ist ja auch egal.“

„Ich weiß nicht, ob es mir egal ist. Das… könnte ich vielleicht beurteilen, nachdem du’s mir erzählt hast, falls… also… falls du das denn tun magst. Nicht, dass ich dich zwingen will, es… es ist nur so, dass es mich interessiert, selbst wenn du der Ansicht bist, dass es nicht wichtig sei.“

Nein ...

Und da war er schon wieder bei zweitens...

Er konnte sich nicht einfach von jetzt auf gleich ändern. Er hatte es sich so angewöhnt, so angeeignet, so war er einfach. Er konnte sich nicht auf einmal um 180° drehen und tadaaa, da war der neue Bill!

Und gleichzeitig war er da auch bei Erstens. 'All seine Beziehungen' waren nämlich gerade mal zwei Stück gewesen. Und wieso? Weil er so feige war. Vielleicht konnte er da aber auch Punkt eins ein bisschen verbessern. Zwei Beziehungen ... was war das schon? Es war doch normal, dass zwei oder gar ein paar mehr Beziehungen scheiterten, oder? Wie viele Leute hatten zig Exfreundinnen und Exfreunde?! In dieser Hinsicht musste er sich also doch nicht schämen. Eigentlich war er auch recht zugänglich, würde er mal behaupten, wenn er erst mal in einer Beziehung war. Beziehung hieß für ihn, dass er Vertrauen gefasst hatte, richtig inniges Vertrauen und dann war er auch nicht mehr so verklemmt wie bei 'Fremden' á la Tom.

Okay, dann konnte er wohl Punkt eins streichen und nur noch auf Punkt zwei hocken und dieses Hindernis musste Tom wohl überwinden, sollte er Interesse an ihm haben. Immerhin wusste er von den Hemmungen, da konnte er sich vielleicht aus der einen oder anderen Geste, die Bill unbewusst traute zu offenbaren, Schlüsse ziehen. Schlüsse, die positiv für sie beide waren. Sofern Bill etwas von Tom wollte.

Wollte er das? Er hatte keine Ahnung, er kannte ihn doch kaum, auch wenn er durchaus sagen konnte, dass Tom attraktiv und sehr sympathisch war.

Gott, er kam sich so bekloppt vor.

„Bill?“, hakte der Hopper nach und beugte sich ein wenig nach vorn, um Bills Blick zu fangen, den dieser gesenkt hatte.

Kurz zuckte der Jüngere zusammen und lächelte dann schief.

„Ich wollt nichts sagen. Keine Ahnung ... war nichts weiter. Also ... wie war dein Tag? Laufen die Geschäfte gut? Sonst so? Tut mir leid, mir fällt kein Gesprächsthema ein, Tom.“

Das konnte er wohl laut sagen, dachte der Hopper bei sich. Offensichtlicher konnte man wohl kaum versuchen, von der Tatsache abzulenken, dass man gerade einen wichtigen Fakt unterschlagen hatte. Hielt er ihn denn für vollkommen bescheuert, oder nahm er wirklich an, die Frage, was er hatte sagen wollen, würde Tom nicht mehr weiter interessieren? Ihm nicht auf der Zunge brennen? Nicht an ihm nagen? Dachte er, je plumper die Ablenkung, desto effektiver? Wenn ja, dann… hatte er sich geschnitten. Dennoch beschloss Tom, nicht nachzuhaken und das Ganze Bill gegenüber auf sich beruhen zu lassen, ihn in der Sicherheit zu wiegen, welche er dringend zu benötigen schien.

Allerdings regte sich ein Gedanke in seinem Unterbewusstsein. Ein durchaus verlockender Gedanke. Eventuell war Bill tatsächlich an ihm interessiert… Vielleicht… vielleicht hatte er das sagen wollen. In anderen Worten womöglich, aber… es ergäbe schon einen Sinn. Wenn man jemanden mochte, neigte man zur Überempfindlichkeit, oder war dies einzig Toms Erfahrung?

„Naja, wie soll mein Tag gewesen sein? Wie immer halt. Ist nix Großartiges passiert. Hab halt Kunden bedient, Glühwein gemischt, gefroren, mich in der Pause aufgewärmt, mich ein bisschen mit Sabrina unterhalten, gefroren, mich gelangweilt, gewartet, dass was passiert, gefroren… Und die Geschäfte laufen eben wie immer. Ganz gut halt. Wobei mein Vater sich ja immer wünscht, es brächte noch mehr ein. Naja, je näher Weihnachten rückt, desto mehr Leute tauchen hier auf, insofern nehm ich an, dass ich ihn wenigstens teilweise zufriedenstellen können werde. Solange es nicht schlechter wird… Will gar nicht wissen, was für ein Gejammer ich mir dann anhören müsste. Und sonst so? Nichts halt, schließlich verbring ich beinahe den ganzen Tag hier. Ich geh halt nach Hause, seh mir eventuell noch was im Fernsehen an, vorausgesetzt, es kommt wider Erwarten was, das man ertragen kann und will und dann leg ich mich ins Bett und schlafe. Naja, ich hab mir Gedanken gemacht, was ich mir zu Weihnachten wünsche, aber… naja. So richtig eingefallen ist mir nix. Also nichts, was man irgendwie kaufen könnte.“, berichtete er, lediglich, um Bill einen Gefallen zu tun.

Der Jüngere runzelte interessiert und erstaunt die Stirn.

„Was du dir zu Weihnachten wünschst? Das klingt ja so, als würdest du noch bei deinen Eltern wohnen und so ganz traditionell zu Weihnachten ...?!“

Fragend blickte Bill sein Gegenüber an, versuchte die eben noch nicht so gut gewesene Stimmung zu vergessen und eine bessere zu machen. Und Tom verfluchte ihn derweilen in Gedanken. Er hatte dem 21 Jährigen zig Punkte zum Ansprechen gegeben, vor allem das am Schluss von wegen 'nichts, was man sich kaufen kann' - und Bill fiel nichts anderes ein, als zu fragen, ob er noch bei seinen Eltern lebte? Der Junge brachte ihn wirklich noch um den Verstand. Er war so süß und gleichzeitig ein absoluter Trampel, wenn auch vermutlich nicht mit Absicht.

„Nein, ich wohne nicht mehr bei meinen Eltern.“, antwortete er trocken, fuhr aber direkt fort.

„Ich bin schon vor vier Jahren bei meinen Eltern ausgezogen. Aber sie halten an der Tradition fest, ihrem armen kleinen Sohn noch was ganz Tolles zu schenken wie zu Kinderzeiten. Ich muss ihnen dann immer jedes Jahr ein paar Sachen aufschreiben, die ich mir wünsche und sie suchen sich dann halt was aus, damit es noch ein bisschen eine Überraschung wird und damit sie 'flexibler' sind.''

Verstehend nickte Bill und lächelte, während er nun das erste Mal an seinem Glühwein nippte. Sofort verzog er sein Gesicht und kniff die Augen zu. Der Schluck, der schon nur ein Nippen war, war definitiv zu groß gewesen. Nicht nur, weil der Glühwein noch sehr heiß war ...

„Hast du da Rum mit reingemacht?“

Mit noch immer leicht zusammengekniffenen Augen blickte Bill den Budenverkäufer an.

Tom grinste.

„Jap. Verliebte Köche versalzen das Essen, und die Glühweingeber auf dem Weihnachtsmarkt bringen halt ein paar Promille mehr ins Spiel!“

Das bisschen Glühwein, das Bill noch im Mund gehabt hatte, spuckte er in hohem Bogen wieder aus, so – nun ja, schockiert war er ja eigentlich nicht – überrascht war er. Was Tom soeben gesagt hatte, konnte eigentlich nur… ja, eigentlich KONNTE es nur eines bedeuten: Er war verliebt. In ihn. Bill war nicht egozentrisch veranlagt, doch wer sollte es sonst sein? Es war SEIN Glühwein, den Tom versalzen hatte, er war so wahnsinnig nett zu IHM, ließ IHN in seinen Stand hinein, erklärte IHM alles, erzählte IHM so viel über sich und stellte IHM Fragen. So vernagelt Bill in Liebesdingen auch sein mochte – es kostete ihn ein wenig Anstrengung, das einzusehen – das erschien sogar ihm offensichtlich. Und was jetzt? Wie in Gottes Namen sollte er darauf reagieren? Er wollte den Hopper nicht abservieren, nicht abweisen, beileibe nicht, doch war er sich nicht sicher, ob er so schnell zu so viel bereit war. Nur durfte er ihn auch nicht enttäuschen. Ob er vielleicht um… so etwas wie Bedenkzeit bitten konnte?

„S…soll… s… soll das… soll das heißen… du… du…“, stammelte Bill, quasi um sich und seine Theorie abzusichern. Denn wenn er Unrecht hatte, erledigte sich die Sache ohnehin. Nach seiner Reaktion konnte er nicht mehr vorgeben, Toms Aussage in keiner Weise interpretiert zu haben.

„Wenn du meinst, was ich denke, dann… ja? Und ich hoffe… ich hoffe, dass du kein Problem damit hast, ich… ich will dich nicht zu irgendetwas zwingen, das du nicht willst, das… nichts wäre mir ferner. Ich will nur gern klare Verhältnisse schaffen, damit du… du dir Gedanken machen kannst und… was weiß ich, vielleicht mal… offener wirst und… und mutiger und… nicht denkst, dass du nichts wert bist, was nämlich absolut nicht wahr ist und… weißt du, wenn du… also… du kannst dir Zeit lassen, wenn du zwar nicht abgeneigt bist, es dir aber zu schnell geht, das kann ich nachvollziehen und das wär echt kein Problem, ich… ich will einfach nur, dass du’s mir sagst, wenn du nicht willst, okay? Damit ich aufhören kann, mir dumme Hoffnungen zu machen?“ So verunsichert wie gerade hatte Tom sich bisher selten gefühlt.

Naja, die Worte, die den Hinweis zu seinen Gefühlen gaben, waren auch eher unabsichtlich über seine Lippen geglitten. So eindeutig und schnell hatte er dann eigentlich doch nicht vorgehabt, Bill seine Gefühle zu gestehen.

„Aber ... also das ist jetzt ehrlich gemeint, nicht dass du denkst, ich will mich jetzt rausreden oder sage das, damit es dir leichter fällt, damit umzugehen ... Also ... ich meine, wir kennen uns ja kaum. Direkt von Verliebtsein würde ich vielleicht noch nicht sprechen. Eher ... eine kleine Schwärmerei? Gott, mir ist das gerade so peinlich, ich führ mich auf wie ein kleines Kind, entschuldige!“

Seufzend schnappte der Hopper sich die Tasse seines Gasts und spülte sie in einer Spüle aus, ehe er neuen Glühwein nachschenkte und dieses Mal statt Rum ein wenig Honig mit reinmachte. Bill sah gerade nicht so aus, als würde er normalen Glühwein vertragen, da war es sicher besser, wenn er etwas süßer war.

Die ganze Zeit antwortete der 21 Jährige nicht, ließ sich immer und immer wieder die gesagten Worte durch den Kopf gehen. Er fühlte sich geehrt, sicher und irgendwie erinnerte Tom ihn gerade irrsinnigerweise an ihn selbst. Schnell klopfte sein Herz, als er zu dem Älteren aufsah. Wie eine Maus, die schnell ihr Futter zu sich heran zog, tat er es mit seinem Glühwein und nahm einen Schluck, während er Tom nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.

Der 23 Jährige hatte sich wieder mit an den Tisch gesetzt und ignorierte gekonnt Sabrina, die aufgrund der Zeit und dem somit entstandenen Kundenmangel genügend Zeit hatte, sie beide zu beobachten und das Geschehen zu verfolgen. Sie hatte gewiss gehört, was sie hier gesprochen hatten.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“, atmete Bill tief durch und stellte seine Tasse wieder ab – sein Blick wanderte zu ihr, damit er nicht die ganze Zeit sein Gegenüber ansehen musste. Das hätte die Situation sicher nicht besser gemacht. Es war hier zwar nichts Negatives, aber ... es war dennoch irgendwie peinlich, ungewohnt und aufregend.

„Das… das macht nix. Ist… ich würd mal sagen, dass es wesentlich besser ist, als… als naja, du weißt schon, was ich meine.“

Sabrina – so merkwürdig sie das auch fand – fühlte sich wie in einem der kitschigsten Filme, den sie je gesehen hatte. Und es war in ihren Augen unglaublich süß. Wenn sie sich nicht zusammenrisse, hätte sie längst zu seufzen begonnen. Doch sie fürchtete, von Tom beim „Spionieren“ ertappt zu werden, was sie den Job kosten könnte. Zumindest rein theoretisch, denn sie kannte Tom gut genug, um zu wissen, dass er so etwas niemals täte.

Zu schade, dass es ihr letzter Arbeitstag auf dem Weihnachtsmarkt war. Was hätte sie dafür gegeben, diese Romanze weiterhin zu verfolgen.

Bill entgegnete scheu: „Ja, ich denke, ich weiß es. Nur… bin ich das einfach nicht… ich bin das nicht gewohnt und deswegen bin ich grad einfach… ein wenig durch den Wind, schätze ich. Das hat absolut nichts damit zu tun, dass ich dich nicht mag, ich bin grad bloß noch immer so… aufgeregt, durcheinander, verwirrt. Vielleicht… vielleicht sollte ich erst einmal gehen, damit wir… damit wir beide ein bisschen zur Ruhe kommen?“

Nicht, dass Tom wirklich wollte, dass Bill ging. Nicht nur, da er ihn gern in seiner Nähe hatte, er wusste schlichtweg nicht, ob es eine gute Idee war. So zaghaft sein Schwarm bisweilen war, läge es durchaus nicht im Bereich des Unmöglichen, dass er ihm einfach so lange aus dem Weg ginge, bis er es aufgäbe. Nur, weil er zu schüchtern war, um mit der Wahrheit herauszurücken. Aber was blieb ihm anderes übrig, als das Risiko einzugehen? Wenn er jetzt Druck ausübte, dann brach er sein Versprechen. Was definitiv kontraproduktiv war.

„Wenn du… wenn du willst… kannst du. Ich… ich wäre froh, wenn du noch bliebest, doch du musst nicht.“, ein flehender, bettelnder Unterton schlich sich in Toms warme Stimme.

Bill spürte, wie es in seiner Brust stach. Er verletzte nicht gerne Menschen, die er mochte, und dass es Tom gerade wehtat, dass er nach seinem Geständnis einfach gehen wollte, sah er ihm deutlich an. Dennoch wusste der 21 Jährige nicht mit der Situation umzugehen. Dass man ihm so deutlich derartige Gefühle gestand, war bisher selten vorgekommen, umso ungewohnter war es für ihn. Und unangenehm, wenn er ehrlich war. Okay, es war, wie Tom sagte, bisher nur eine Schwärmerei und Bill fühlte sich dahingehend auch geschmeichelt und geehrt, aber dennoch … Er hatte Angst, ganz besonders, weil sie sich so gut wie gar nicht kannten und gerade mal vor zwei Tagen das erste Mal miteinander gesprochen hatten. Wie sollte er da auf Gefühle oder allgemein diesen Menschen eingehen können?

Er fand Tom süß, ja, und er wünschte sich so unglaublich sehr einen Freund, der für ihn da war, der Weihnachten mit ihm verbrachte, einfach jemanden, der ihm zeigte, dass er wichtig und wertvoll war, einer der zeigte, dass er ihn liebte. Aber das hier ging definitiv zu schnell, zumal er selber nicht von sich sagen konnte, dass er für Tom schon derartige Gefühle entwickelt hatte. Er war einfach skeptisch und vorsichtig und wollte sich nicht unnötigerweise verletzbar machen.

„Tut mir leid … aber ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gehe …“

Stumm stand Bill auf und kramte aus seiner Jackentasche das Geld für den Glühwein heraus und legte dieses auf vor sich auf den Tisch. Dann drehte er sich um und verließ die Glühwein- und Süßkrambude.

Eine Träne rollte seine Wange hinunter, als er den Weihnachtsmarkt entlangging und sich immer weiter von dem Stand entfernte. Immer weiter von dem Menschen entfernte, der sich anscheinend langsam in ihn verliebte und so offen und herzig war.

Selbst wenn Bill ebenfalls Gefühle entwickeln würde … hatte er jemanden Tom überhaupt verdient? Wenn der Hopper wirklich so war, wie er sich gab, dann war er wirklich ein toller Mensch …

11.12. 2011


Nervös und aufgeregt arbeitete Tom eine Bestellung nach der anderen ab. Heute war die Hölle los auf dem Weihnachtsmarkt. Er merkte schon rein am Geschäft, dass Weihnachten näher rückte und die Leute immer mehr in die übliche Weihnachtsstimmung gerieten. Von Tag zu Tag kamen mehr Leute, dazu war heute auch noch herrliches Wetter, was zusätzlich die Menschen hierhertrieb. Und es war Sonntag. Aber aus genau dem Grund hoffte Tom, dass das Geschäft langsam ruhiger werden würde. Es war bereits 20 Uhr und die meisten mussten vermutlich morgen arbeiten – und die Kinder in den Kindergarten oder in die Schule.

Schon den ganzen Tag stand Bill an einem der Stehtische und beobachtete die Leute, während er nun mittlerweile schon den dritten Glühwein trank. Bisher hatten sie kein Wort – außer bei den Bestellungen – miteinander gewechselt und Tom hoffte inständig, dass es nur an dem Kundentrubel lag und nicht an seinem gestrigen Geständnis. Wobei die Ausnahme, dass Bill mehr als einen Glühwein trank, wohl schon für sich sprach … War es so schlimm, dass Tom Gefühle für ihn hatte, dass er sich schon betrinken musste?

„Kannst du mal kurz?“, wandte sich der 23 Jährige an Georg, der eben fertig war mit Glühwein auffüllen. Schon am ersten Tag musste Gustav, der auch hier war, Überstunden machen, weil einfach zu viel los war. Dabei hatte es sich in der letzten Stunde schon ein kleinwenig beruhigt. Dennoch kamen sie nicht dazu, mal zu verschnaufen.

Georg nickte und ließ Tom einen Moment Ruhe. Sofort eilte der Hopper nach draußen und blieb schnaubend und fröstelnd vor seinem Gast stehen. Bill …

„Hey …“, lächelte er nervös, was den Jüngeren aufblicken und ebenfalls ein wenig nicken ließ.

„Magst du reinkommen? Da ist es wärmer und du wirst nicht ständig angerempelt. Hier ist heute echt viel los.“

Bill zierte sich. „Ich… ich weiß nicht so recht, du hast so viel zu tun, dabei will ich dich nicht stören… nicht, dass du irgendwie Ärger bekommst oder sowas, das… daran will ich nicht schuld sein.“

Beinahe hätte Tom verärgert und enttäuscht aufgestöhnt. Bill machte es einem aber auch definitiv nicht leicht. Womit hatte er das verdient? Er bemühte sich so sehr um ihn, nahm ihn, wie er war und hatte ihm nie etwas Böses gewollt. Und soweit er das beurteilen konnte, hatte er ihm auch nie etwas Böses getan. Er erwartete doch nicht viel, aber ein wenig könnte Bill ihm in diesem Fall durchaus entgegenkommen, oder irrte er sich da?
Wie auch immer, es gelang ihm, sich zu beherrschen, obgleich es ihn einige Anstrengung kostete. Mit den Worten: „Wenn du nicht magst, dann… dann musst du nicht, war ja nur ein Angebot“, zog er wieder von dannen. Das mochte beleidigt wirken, vermutlich war er das auch tatsächlich, doch er wusste sich schlichtweg nicht mehr zu helfen.

Wenn Bill nicht wollte, wollte er nicht, war doch auch lächerlich, sein Herz so sehr an jemanden gehängt zu haben, den man kaum kannte. War doch seine Schuld. Wieso war er auch so naiv? Was erwartete er denn? Er kannte ihn gar nicht und hatte somit vermutlich nur seine Wunschvorstellungen von einem idealen Partner auf Bill projiziert. Die Erwartungen, die er an den armen Kerl stellte, waren vermutlich viel zu hoch angesetzt, kein Wunder, dass er enttäuscht wurde. Er sollte nicht Bill die Schuld geben. Das war nicht fair.

Am liebsten würde er sich jetzt nach Hause verziehen, es sich gemütlich machen. In eine Decke eingemummelt mit Eiscreme vor dem Fernseher sitzen und irgendwelche Filme gucken, die ihn nur noch mehr deprimierten. Moment… Wer war er denn? Er war stark. Er kam damit klar. Er konnte das. Er würde nicht aufgeben, er würde weiterarbeiten. Keine Schwäche zeigen.

Nicht, dass er wollte, dass Bill ein schlechtes Gewissen hatte. Absolut nicht. Denn das verdiente er nicht. Was konnte er denn dafür, dass Tom aufgrund der weihnachtlichen Atmosphäre eine Art romantischen Anfall erlitten hatte? Wenn es dennoch in Schuldgefühlen vonseiten Bills resultierte… Was dann war, wusste er nicht.

Wie ein Kind, das gerade ausgeschimpft wurde, trottete er zurück zu seinem Stand. Georg und Gustav zeigten sich erleichtert über seine Rückkehr. Nicht, dass sie nicht in der Lage waren, den Laden zu zweit zu schmeißen, den Kundenstrom zu bewältigen, aber je mehr Hände halfen, desto besser. Sie durften sich die Frage, wie es noch werden würde, gar nicht in Gedanken stellen. Sie würden sich wohl zerreißen müssen.

„Alles okay?“, Georg fiel die niedergeschlagene Stimmung seines Kollegen auf. Zwar handelte es sich eher um eine rhetorische Frage, welche nur veranschaulichen sollte, dass er es bemerkt hatte und sich um ihn sorgte, da eigentlich nicht genug Zeit vorhanden war, um diese Frage zu beantworten oder sich auf etwaige Antworten zu konzentrieren.

Daher winkte Tom ab. Wozu jammern? Änderte auch nix und ginge seinen Mitmenschen höchstens auf die Nerven, denn die hatten vermutlich mehr als genug eigene Probleme. Und eigentlich ging es ihm doch auch überhaupt nicht schlecht. Alles könnte wesentlich schlimmer sein und er veranstaltete einen solchen Terz. Das stand ihm doch gar nicht zu, redete er in Gedanken auf sich ein.

Nicht, dass es half.

Immer wieder verstand oder behielt er Bestellungen nicht richtig. Einmal hätte er beinahe den Glühwein versaut, doch Gustav hielt ihn in letzter Sekunde davon ab. So konnte das doch nicht weitergehen.

Eventuell sollte er Bill vor die Wahl stellen. Entweder, er kam weiterhin und gab ihrer „Beziehung“ eine Chance, oder er kam nicht mehr. So einfach war das. Okay. Nein. War es absolut nicht.

Diese Wahl würde alles nur noch weiter verschlimmern. Es konnte nur funktionieren, sollte Bill selbst einsehen, dass er etwas unternehmen musste. Aber… Tom konnte doch nicht einfach nur rumsitzen und warten, er war einfach viel zu unruhig.

Allerdings wäre alles Aufdrängen wohl auch nur kontraproduktiv, zumal Bill ja um sein Interesse wusste. Eigentlich konnte Tom nur abwarten und hoffen, dass Bill ankam und anfing auf ihn einzugehen, auf seine Gefühle einzugehen, wobei er sich da wohl kaum Hoffnungen machen konnte, immerhin hatte Bill ihm von seinen Hemmungen und Problemen erzählt. Er würde sich wohl kaum für ihn, den er kaum kannte, auf einmal ändern oder einfach mal zusammenraffen.

Seufzend schüttelte Tom den Kopf und nahm die zwei Tassen Tee, die ein Kunde gerade für sich und vermutlich seine Freundin bestellt hatte. Vorsichtig balancierte er das Porzellan mit dem heißen und köstlichen Inhalt.

„Ah!“, schrie der 23 Jährige allerdings gedämpft auf, als er sich umdrehte und erschrak, da auf einmal Bill vor ihm stand. Mit einem lauten Platschen kamen die Tassen auf den Boden auf – durch den grünen Teppich, der in allen Ständen ausgelegt war, gingen sie nicht kaputt, aber vor dem heißen Inhalt rettete der Bodenbelag den Hopper nicht.

Zischend zog er die Luft durch die Zähne, als er spürte, wie es heiß an seinen Füßen wurde. Die Sneakers sogen das rote Getränk regelrecht auf.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße, Scheiße!“, sprang Tom immer wieder von einem Fuß auf den anderen und kniff seine Augen zu, ehe er zu einem der beiden Stühle an dem Tisch eilte, sich hinsetzte und hastig die Schuhe und Socken von den Füßen zog.

Entsetzt beobachtete Bill ihn. Was hatte er da nur angerichtet? Helfen wollte er nun, doch so richtig hilfreich stellte er sich dabei definitiv nicht an. Irgendwie musste er Toms Füße wohl kühlen, vielleicht… vielleicht half da ja Schnee? Von dem weißen Zeugs lag definitiv mehr als genug in der Gegend herum. Gedacht, getan.

„Es… es tut mir… es tut mir leid.“, erklärte er, wohlwissend, dass er das nicht mehr hatte sagen wollen. In dieser Situation war es das Einzige, was ihm noch einfiel und… gut, er hatte nicht die Absicht gehabt, den Hopper zu erschrecken, doch passiert war passiert und es war seine Schuld, daher hoffte er, dass Tom ihm das nicht übelnahm.

Während er also den Schnee auf Toms Füße tat, fiel ihm auf, dass er sich tatsächlich Sorgen um ihn gemacht hatte. Dass er das Gefühl verspürte, ihn zu trösten, in den Arm zu nehmen. Es ängstigte ihn, dass diese Gefühle auf ihn einprasselten. Das war doch nicht normal.

„Nicht so schlimm. Geht schon wieder.“, entgegnete Tom und wollte sich ans Aufstehen machen. Schließlich hatte er den zwei Gästen ihre Bestellung auszuliefern, schlimm genug, dass er es dieses erste Mal vergeigt hatte. Unzufriedenheit bei seinen Kunden war ihm ein Gräuel. Ein weiterer Grund bestand wohl darin, dass es ihm unangenehm war, wie angenehm sich Bills Nähe anfühlte. Er musste weg, oder er würde sich vergessen und… etwas tun, das er bestimmt später bereuen würde.

„Bleib sitzen, Tom, wir machen schon!“, drückte Georg im Vorbeigehen seinen Kollegen und Kumpel wieder auf den Stuhl. Sie waren beinah beste Freunde und auch wenn der Hopper dem Älteren noch nichts von seiner Schwärmerei erzählt hatte, hatte Sabrina schon alle Hände damit zu tun gehabt, es weiterzutratschen. Er wusste Bescheid – alles, was das Mädchen wusste, hatte sie ihm erzählt. Spätestens als ein junger Mann einfach die Verkaufsbude betreten hatte, war ihm klar gewesen, dass das wohl die Person war, welche für Toms schlechtes Arbeiten verantwortlich war.

Georg schmunzelte, denn die zwei waren wirklich irgendwie niedlich.

„Es tut mir leid. Wirklich!“, wisperte Bill beschämt und fing beinah an zu weinen, als er sah, dass Toms Füße stark gerötet waren und zu schmerzen schienen.

„Kann ich das irgendwie wiedergutmachen?“, guckte er dem 23 Jährigen flehend in die Augen.

Und jetzt konnte Tom einfach nicht mehr an sich halten. Diese braunen Augen, die so glänzten, ihm das Herz erwärmten ...

Er griff dem jungen Mann einfach in den Nacken, zog ihn näher zu sich und küsste ihn.

Sofort versteifte sich Bills ganzer Körper. Sich zu wehren traute er sich, konnte er auch im ersten Moment vor Schreck nicht. Also ließ er es sich einfach gefallen, versuchte locker zu werden und schloss die Augen.

Und als er das tat ... als er nichts mehr sah ... fiel es ihm auf einmal ganz leicht ...
Zitat des Tages

„Und Tom und ich sind immer rumgelaufen und haben gesagt: Bitte es muss doch Jemanden geben, der das entdeckt. Es muss doch Jemanden geben der... der das sieht, was wir hier fühlen oder so“ 
100 % Tokio Hotel, 2010 






Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Ich möchte hiermit darauf hinweisen, dass ich die Kommentare nur unter der Antwortfunktion meines Blogs beantworten werde. Somit solltet ihr, wenn ihr eine Antwort haben möchtet die Benachrichtigungen einschalten. So werdet ihr benachrichtigt, wenn weitere Kommentare geschrieben werden, oder ich auf Dein Kommentar geantwortet habe.

Beleidigungen, werden gar nichts erst veröffentlicht!

Vielen Dank für dein Kommentar ♥